Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
erwiderte nichts, wohl weil er nach einer schlagfertigen Antwort suchte. Als ihm keine einfiel, sagte er: »Er ist also mit dir nach Phuket geflogen.«
Sie hörte die versteckte Andeutung zwischen den Zeilen heraus, und Wut brandete in ihr auf. »Du weißt ja, wie das ist, Gil«, sagte sie. »Manche Männer haben nun mal ein Händchen für Frauen. Sie wissen, wie sie kriegen, was sie wollen.«
Kaum hatte sie es ausgesprochen, da bedauerte sie es auch schon wieder. Normalerweise war ihr tief sitzendes Bedürfnis, sich keine Unverschämtheiten bieten zu lassen, recht hilfreich, doch diesmal schadete es nur. Sie wollte Informationen von Gil. Dafür musste sie ihn steuern, manipulieren, durfte nicht reflexartig auf seine ständigen, billigen Provokationen reagieren. Ja, sie konterte seine Schläge, aber trotzdem zwang er ihr seinen Kampf auf. Wenn sie gewinnen wollte, musste sie das gesamte Spiel ändern.
Gil schwieg am anderen Ende, und sie überlegte, ob sie ihn mit ihrer Bemerkung vielleicht sogar verletzt hatte. Der Gedanke milderte ihren Zorn, machte sie großzügiger. Sie spürte, dass dieses Gefühl von Nutzen sein könnte.
Sie dachte nach. Vielleicht brauchte Gil bloß einen Sieg in ihrem permanenten verbalen Kleinkrieg. Vielleicht würde das seine Ehre als Mann wiederherstellen und er wäre zu einem anderen Verhalten fähig, als ihr immer nur wehtun zu wollen. Sie hatte oft gedacht, dass ihre Regierung so mit den Palästinensern umgehen müsste. Schließlich war Ägypten erst nach dem Yom-Kippur-Krieg, nachdem es Israel eine blutige Nase verpasst hatte, bereit gewesen, Frieden zu schließen. Vielleicht war Gil ja genauso gestrickt. Und vielleicht würde er, wenn er das ungewohnte Gefühl von Erfolg und Macht erlebte, mit Informationen großzügig oder zumindest unvorsichtig umgehen. Ja, so musste sie vorgehen. Sie musste ihn gewinnen lassen.
Nach einem Moment fragte er: »Also, was ist passiert?«
»Ich glaube, er ist misstrauisch geworden.«
»Irgendeine Ahnung, wo er hinwollte?«
»Nein.«
»Scheiße«, sagte er wieder.
Scheiße, natürlich. Für Gil musste es wie ein Coitus interruptus sein, wenn er jemanden, den er schon im Visier hatte, doch nicht töten könnte.
»Wo bist du?«, fragte sie. »Bangkok.«
Das hatte sie sich gedacht. Sie hatte ihnen gesagt, dass sie Rain in Bangkok treffen würde. Klar, dass Gil möglichst in der Nähe sein wollte, um rasch handeln zu können.
»Ich muss ohnehin über Bangkok, egal, wo ich als Nächstes hinfliege«, sagte sie. »Wir können uns da treffen, und ich erstatte dir Bericht.« Und dann, als wäre es ein spontaner Gedanke und nicht geplant, fügte sie hinzu: »Oder du kommst her. Es ist wunderschön hier, und wer weiß, ob sich uns je wieder so eine Gelegenheit bietet.«
Gil zögerte lange. Dann sagte er: »Es ist besser, du kommst hierher.«
Sein Zögern verriet, dass ihr Vorschlag, sich in Phuket zu treffen, verlockend für ihn gewesen war. Seine Antwort dagegen bewies sein Misstrauen, sonst hätte er der Verlockung wohl nachgegeben. »Okay«, sagte sie. »Ich nehme den nächsten Flug und ruf dich an, wenn ich gelandet bin. Ich schätze, in ein paar Stunden, vielleicht früher.«
»Okay«, sagte er und legte auf.
Sie nickte. Ein fremder Ort, nur sie beide zusammen, weit weg von den Leuten, die sie kannten ... alles in allem einfach ideal, um jemanden locker zu machen und zum Plaudern zu bringen. Sie hatte das schon viele Male erlebt. Tja, John hatte die Methode eben erst bei ihr angewandt.
Sie ließ sich mit dem Hotelwagen zum Flughafen bringen und erwischte noch einen Thai-Air-Flug, der in weniger als einer Stunde ging. Sie rief Gil vom Flughafen in Bangkok aus an. Er sagte, sie solle zum Oriental Hotel kommen, er würde auf der Restaurantveranda mit Blick auf den Fluss auf sie warten. Sie erwiderte, sie wäre in spätestens einer Stunde da.
Der Mittagsverkehr hielt sich in Grenzen, und die Fahrt dauerte keine vierzig Minuten. Sobald sie das Hotel sah, wusste sie, warum Gil es ausgesucht hatte. Das Gebäude im klassizistischen Kolonialstil erstreckte sich über die Länge eines ganzen Häuserblocks und verfügte zweifellos über reichlich Ein- und Ausgänge. Taxis, Tuk-Tuks und eine Art Flusstaxi mit einer Anlegestelle in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs warteten auf die Gäste. Und für die Sicherheit sorgten diskrete Überwachungskameras und Wachleute mit Ohrhörern. Es wäre daher schwierig, einen Hinterhalt zu legen, ohne von einer der
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