Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
seinem Handy gelöscht. Wenn ihm irgendwas passiert war und Hilger ihn jetzt anrief, bliebe der Anruf gespeichert. Es würde zwar niemand was mit der Nummer anfangen können, aber Hilger wollte das Risiko nicht eingehen. Außerdem, wenn Demeere in der Lage wäre anzurufen, dann hätte er es bereits getan.
Hilger wandte sich an Pancho. »Kannst du den New Yorker Polizeifunk über Satellit abhören?«
Pancho nickte. »Das krieg ich hin.«
»Also gut. Mal sehen, ob wir irgendwas erfahren.«
Pancho verschwand. Guthrie und Hilger blieben schweigend sitzen.
Zehn Minuten später kam Pancho zurück. Seine angespannte Kiefermuskulatur sagte Hilger alles.
»Sie melden einen Toten auf der Mott Street«, sagte Pancho. »Er hatte keine Papiere bei sich. Aber das Opfer ist ein Weißer. Blond, Mitte dreißig.«
Hilger nickte, ohne eine Emotion zu zeigen. »Wie?«, fragte er. Mehr Interesse an etwas, das operativ nicht mehr von Belang war, würde er sich nicht erlauben.
»Kehle durchgeschnitten«, sagte Pancho.
Guthrie schüttelte den Kopf. »Verdammt«, sagte er. »Verdammt.«
Hilger seufzte. Er regte sich in solchen Situationen niemals auf, niemals. Er hatte schon öfter Männer verloren und schaffte es instinktiv und dank seiner Ausbildung, seiner Trauer erst später nachzugeben, wenn er die unmittelbare Situation geregelt und neue Pläne in die Wege geleitet hatte. Seine Männer hatten sich stets auf seine Führungsqualitäten verlassen, und Führungsqualitäten hatte nur jemand, der sich auf das Problem konzentrierte, nicht auf seine Gefühle.
»Was, glaubst du, wird Rain jetzt machen?«, fragte Pancho.
»Schwer zu sagen«, erwiderte Hilger. »Aber er wird sich melden. Wir haben noch immer seinen Freund.«
»Glaubst du, er hat erst Accinelli und dann Demeere erledigt?«
Hilger nickte. »Ich schätze ja. Hört den Polizeifunk weiter ab, dann werden wir es bald wissen.«
»Was bedeutet das für unsere Sicherheit?«, fragte Guthrie. »Ich meine, Demeere hat doch steril operiert, oder?«
»Zweifellos«, sagte Hilger. »Falls jemand mit ihm einen Namen verbindet, es wäre nicht sein richtiger. Und selbst wenn der falsche Name irgendwelche Aufschlüsse ermöglichen könnte … Rain verfügt nicht über die Mittel, dass er was damit anfangen kann. Und selbst wenn doch, da wir ständig woanders sind, kann er uns unmöglich lokalisieren. Wir bleiben nur noch einen Tag in Singapur, und dann fahren wir weiter. In operativer Hinsicht sind wir sicher.«
»Wenn Accinelli erledigt ist«, sagte Pancho, »brauchen wir Rain nicht mehr. Wenn wir Rain nicht mehr brauchen, brauchen wir auch Dox nicht mehr. Ein Wort von dir genügt, und ich fahr uns raus Richtung Riau-Inseln, beschwer ihn mit Gewichten und schmeiß ihn über Bord.«
Guthrie warf Pancho einen Blick zu, den Pancho ignorierte. Hilger konnte sich einigermaßen gut vorstellen, was der Blick bedeutete.
»Nein«, sagte er. »Noch nicht. Ich will erst hören, was Rain zu sagen hat.«
»Rufst du … rufst du Demeeres Frau an?«, fragte Guthrie.
Von ihnen vier war nur Demeere verheiratet gewesen. Mit einer Amerikanerin, Joanne Kartchner, die mit Demeere in Brüssel lebte. Hilger hatte sie mal kennengelernt. Sie hatte ausdrucksvolle Augen, und er hatte die Anziehung zwischen ihr und ihrem Mann sehen können. Demeere war zwar beruflich viel gereist, aber soweit Hilger wusste, war er seiner Frau nie untreu gewesen.
Er würde das jetzt nicht sagen, aber vor Demeeres Abreise nach New York hatte der ihm die Nummer gegeben, unter der Joanne zu erreichen war. »Ich hab nicht vor, den Löffel abzugeben«, hatte er mit einem kleinen Lächeln gesagt. »Die Nummer ist nur für alle Fälle.« Jetzt fragte Hilger sich, ob der Mann eine Vorahnung gehabt hatte.
Er überlegte kurz, wen er gern benachrichtigt wissen wollte, falls ihm was passierte. Oder wen er selbst würde anrufen wollen, wenn er wüsste, dass sein Ende nahte. Natürlich seine Schwester Susan. Sie war verheiratet und lebte in New York, ein drittes Kind war unterwegs. Er besuchte sie und ihre Familie jedes Mal, wenn er an der Ostküste war. Da ihre Eltern gestorben und sie keine weiteren Geschwister hatten, waren sie beide die Einzigen, die noch von der Familie übriggeblieben waren. Und Susans zwei Söhne waren die ganze Zukunft des Clans. Ja. Wenn er wüsste, dass es bald vorbei wäre, und wenn ihm noch die Zeit blieb, wäre es tröstlich, als letzte Stimme die von Susan zu hören.
Er nickte. »Ja. Ich rufe seine Frau
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