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Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Titel: Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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Frage: »Haben Sie Hunger?«
    Das hatte ich tatsächlich. Ich war den ganzen Nachmittag und Abend angespannt gewesen und hatte ganz vergessen, dass mein Lunch schon lange zurücklag. Jetzt jedoch, da die unmittelbare Gefahr gebannt war, machte mein Magen sich bemerkbar.
    Ich nickte.
    »Dann bestellen Sie doch für uns beide«, sagte er. »Sie kennen die hiesige Küche besser als ich.«
    Ich warf einen kurzen Blick auf die Speisekarte und wählte diverse Frühlingsrollen und Klöße aus. Hilger überraschte mich erneut, als er ein Bier bestellte. Ich hielt mich an Orangensaft.
    Keiner von uns sagte etwas, bis Ngan die Getränke und das Essen gebracht hatte. Sobald sie gegangen war, nahm Hilger einen Schluck von seinem Bier und sagte: »Ist bestimmt ein seltsames Gefühl für Sie, wieder hier zu sein.«
    Ich deutete die Bemerkung als Versuch, mir irgendetwas zu entlocken. Aber ich war nicht sicher, was. »Wieso sagen Sie das?«, fragte ich.
    Er zuckte die Achseln. »Erinnerungen. Bei mir war es die Wüste. Ich war im Irak, im ersten Golfkrieg, und wenn ich heute irgendwo bin, wo viel Sand ist und ein heißer, trockener Wind weht, bin ich schwups wieder in der Vergangenheit, mit Leib und Seele. Als wäre ich nie weg gewesen. Leute, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben … die verstehen das nicht. Das ist, als würden sie in zwei Dimensionen leben und man selbst in drei.«
    Ich wusste, wovon er redete. Der Teil von dir, der im Kampf entsteht, wird unweigerlich aktiviert, wenn du wieder auf dem Schlachtfeld bist. Und jetzt stellte ich fest, dass sich die Rückkehr so anfühlte, als ob irgendein unruhig schlafender Teil in dir erwacht, während die Person, für die du dich gehalten hast, so leise kapituliert wie ein Traum. Vielleicht war das ja die Paranoia, die ich empfand. Dieses ältere Ich, das Ich, das mich im Dschungel am Leben gehalten hat, unter Bedingungen und Umständen, die so viele andere Männer das Leben gekostet hatte.
    Wir machten uns über die Frühlingsrollen her. Ein Tisch mit Amerikanern rechts von uns brach in lautes Gelächter aus, nachdem einer von ihnen irgendeine Bemerkung gemacht hatte. Hilger blickte hinüber und schüttelte den Kopf.
    »Sehen Sie sich die da an«, sagte er. »Die glauben, ihnen gehört das Land, ach was, die glauben, ihnen gehört die Welt. Manchmal kotzt mich das an.«
    Ich beobachtete sie einen Moment und musste Hilger recht geben. Was ich da sah, war eine Ansammlung vollgefressener privilegierter Schafe, die in das, was sie hatten, hineingeboren worden waren und deren Erfahrung von echter Angst und Entbehrung sich darauf beschränkte, was ihnen durch die Bilder geliefert wurde, die CNN sendete – natürlich umrahmt von Werbespots für Zahnpasta, die das Lächeln blitzeblank machte, und für bergfrischen Weichspüler. Sie waren den Einheimischen gegenüber herablassend, weil die Einheimischen ihr Geld brauchten und sie dafür bedienen mussten. Sie durchschauten nicht, dass sie genauso bedient wurden, wie das Personal eines Pflegeheims die Pflegebedürftigen behandelt.
    Hilger steckte sich einen Kloß in den Mund, kaute und schluckte. Dann schüttelte er den Kopf. »Da frag ich mich doch, warum ich mich so abstrampele.«
    Ich sah ihn an, fasziniert, dass er mit jemandem lachen und das Brot brechen konnte, der ihn keine Stunde zuvor um ein Haar exekutiert hätte. Ich deutete das nicht als Schwäche. Im Gegenteil, Hilgers mühelose Erholung von dem Vorfall vorhin zeugte von einer langen und engen Vertrautheit mit Gewalt. Und damit nicht genug, es zeugte auch von einem Mann, der Persönliches und Berufliches so skrupellos trennen konnte, dass er zu fast allem fähig wäre. Ich ging davon aus, dass er mit wenig Bedenken und noch weniger Vorwarnung handeln würde, wenn er irgendetwas für notwendig erachtete.
    »Wieso tun Sie’s denn?«, fragte ich.
    Er schaute weg, und einen Moment lang war sein Blick wie nach innen gerichtet. Ich fragte mich, was er wohl sah.
    »Weil alles kaputt ist«, sagte er. »Die Leute dachten früher, kaputt wäre ein System dann, wenn es nur noch auf eine Krise reagieren kann. Aber das bedeutet nicht kaputt. Kaputt ist ein System dann, wenn es nicht mal mehr auf eine Krise reagieren kann.«
    »Von welcher Krise reden Sie?«
    Er trank einen Schluck Bier. Er sah mich an, schüttelte dann den Kopf, als wäre er enttäuscht. »Wenn Sie schon fragen müssen, würden Sie es wohl kaum verstehen.«
    »Lassen wir’s drauf ankommen.«
    »Ich rede von

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