Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
jetzt zweieinhalb sein. Ich hatte ihn nur zweimal gesehen, ein Jahr zuvor, und nach Midoris Verrat wusste ich, dass sie beide in meinem Leben keine Rolle spielen konnten. Eine dauerhafte Trennung war für uns alle am besten, selbst für Koichiro, so traurig mich das auch machte. Ich dachte natürlich an ihn, spät in der Nacht, wenn ich nicht schlafen konnte, und daran, wie er ausgesehen und sich angefühlt hatte, das eine Mal, als ich ihn in den Armen hielt. Manchmal erlaubte ich mir für die ferne Zukunft ein Fünkchen Hoffnung und stellte mir vor, wie ich ihm erklärte, wer ich war, wie ich eine Beziehung aufbaute, auch wenn sie noch so unsicher war, wie ich Teil seines Lebens wurde. Solche vagen Hoffnungen und zerbrechlichen Ziele kamen mir jetzt lächerlich vor, gleichermaßen schwach und naiv, und ich hätte mich dafür auslachen können.
Sands Point prahlte auf einer eigenen Webseite damit, ein reiner Wohnort zu sein: nur achthundertfünfzig Familien, ein paar Gotteshäuser, eine weiterführende Schule und, wie könnte es anders sein, ein Country Club mit einem 18-Loch-Golfplatz. Der Country Club nannte sich Village Club, und ich hatte den starken Verdacht, dass Accinelli, der in ärmlichen Verhältnissen im nahe gelegenen Oyster Bay aufgewachsen war und dann etwas aus sich gemacht hatte, dort Mitglied war. Ich rief die Webseite des Clubs auf. Ein Mitgliederverzeichnis war nicht zu finden, aber dafür allerlei Fotos von der letzten Silvesterparty, darunter etliche mit Accinelli. Eine attraktive Frau, die etwa in seinem Alter war, vermutlich seine Gattin, war auf allen Fotos an seiner Seite. Die Leute drum herum waren gut gekleidet und sahen aus, als hätte das Leben es gut mit ihnen gemeint. Ich kannte diese Sorte: republikanische Befürworter von Niedrigsteuern und liberale Vertreter der Champagnerfraktion. Vermutlich war das zu kurz gegriffen, aber diese erste Einschätzung reichte mir vorläufig für meine Recherchen, wie ich ihre Kreise unauffällig infiltrieren konnte.
Ich überlegte, die Informationen übers Bulletin Board an Kanezaki zu schicken. Je früher er den Namen der zweiten Zielperson hatte, desto früher konnte er die neuen Angaben für unsere Suche nach einer Verbindung zu Hilger und somit auch zu Dox verwenden. Eine Verbindung zur CIA, wie bei Jannick, war nicht erkennbar, aber ich gab einer Regierungsbehörde nur äußerst ungern einen Hinweis darauf, dass ich vorhatte, jemanden umzubringen. Auch wenn der Hinweis an jemanden ging, mit dem ich gute Erfahrungen gemacht hatte, wie Kanezaki. Es war einfach zu gefährlich. Ich beschloss, wieder einmal zu improvisieren. Schlimmstenfalls würde ich es ihm gleich anschließend stecken und versuchen, ihn irgendwie zu besänftigen, wie schon zuvor.
Da ich auf das Bulletin Board zugegriffen und dann von Computern in L. A. Recherchen über Accinelli angestellt hatte, musste ich davon ausgehen, dass Hilger jetzt in der Lage war, mich hier zu finden. Ich stellte mir vor, wie er versuchen würde, meine Schritte vorherzusehen, falls er das vorhatte: Er kommt aus L.A. Höchstwahrscheinlich fliegt er von LAX aus, aber natürlich sind auch Orange County und Burbank möglich. Für die Landung kommen JFK, La Guardia und Newark gleichermaßen in Frage. Ich habe ihm nicht viel Zeit gegeben, daher wird er direkt zum Flughafen fahren, nachdem er im Bulletin Board nachgesehen hat …
Nein. Mit mindestens drei Flughäfen für Start und Landung war das Ganze zu unkalkulierbar. Für operative Zwecke ließ es sich nicht weit genug eingrenzen, dazu wäre eine kleine Armee von Leuten erforderlich, die an allen drei möglichen Zielflughäfen die Passagiere sämtlicher ankommender Flüge überwachten. Dennoch würde ich wie immer mit einem Empfangskomitee rechnen und besonders vorsichtig sein, wenn ich den Flughafen verließ.
Ich löschte zum letzten Mal das Navi, gab LAX als nächstes Ziel ein und gab den Wagen am Flughafen ab. Ich nahm einen Bus zum Terminal, wo ich feststellte, dass United Airlines drei Nachtflüge anbot: Zwei landeten in JFK und ein weiterer in Newark. Die erste Klasse auf den JFK-Flügen war ausverkauft, aber in der Maschine nach Newark um 22.30 Uhr war noch ein Erster-Klasse-Platz frei. Ich kaufte ein Ticket, las zwei Stunden lang den neuesten Economist in der Lounge und schlief ein paar Stunden in der Luft, ehe ich um halb sieben am nächsten Morgen in Newark landete.
Nach dem Aussteigen aus der Maschine wartete ich mit meinem Handgepäck im
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