Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
und anscheinend setzte er es gern ein.
Der Kahlkopf, den ich im Gespräch mit ihm gesehen hatte, war Waiyee Chan, der dai lo oder Anführer der hiesigen Gang. Wenn der Anführer sich mit einem kleinen Chargen traf, so Tatsus Vermutung, dann musste die Angelegenheit für den Anführer persönlich wichtig sein. United Bamboo hatte mit der Yakuza in Tokio im Clinch gelegen, doch zurzeit herrschte zwischen ihnen eine unsichere Waffenruhe. Den Grund dafür sah Tatsu darin, dass United Bamboo für eine gewisse Gegenleistung in Japan Yamaoto in New York unterstützte, genau wie Dox und ich bereits spekuliert hatten. Er wollte mehr herausfinden.
Am Abend gingen Dox und ich genauso vor wie am Tag zuvor. Als Dox mich diesmal anrief, um zu bestätigen, dass Wong erneut im Zinc war, machte ich mich auf den Weg ins West Village.
Ich war stärker verkleidet als beim ersten Mal. Ich trug eine Perücke, die unter der Baseballmütze hervorquoll, eine Hornbrille und zwei Schichten dickes Fleece unter der Windjacke, um zehn bis fünfzehn Kilo schwerer zu wirken. Ich erkundete die Gegend zu Fuß, von der Körperhaltung, vom Gang und vom Auftreten her möglichst unauffällig. Ich kontrollierte die Stellen, die ich ausgewählt hätte, um die Wohnung zu beobachten. Ich sah sogar in den Lokalen nach, ob Wong vielleicht doch einen Partner hatte, der dort wartete, um Midoris Überwachung zu übernehmen, sobald sie von ihrem Auftritt im Zinc zurückkam. Alles war sauber. Ich hockte mich in eine Jazzkneipe namens »55 Club« eine Querstraße von Midoris Haus entfernt und wartete.
Eine halbe Stunde später summte mein Handy. Ich ging nach draußen und meldete mich
»Das Set ist zu Ende«, sagte Dox. »Midori ist gerade in ein Taxi gestiegen.«
»Und unser Freund?«
»Der steht noch draußen. Genau wie gestern Nacht.«
»Hat er telefoniert?«
»Nein.«
»Alles klar. Dann kann’s ja losgehen.«
»Hör mal, ich hab nachgedacht. Nur weil er gestern Nacht nicht hinter ihr her ist, heißt das nicht, dass er das heute Nacht wieder nicht macht. Was wenn …«
»Unsinn, wenn er ihr jetzt noch nicht gefolgt ist, dann wird er das auch nicht. Jedenfalls nicht heute Nacht. Und ich habe alle möglichen Stellen hier in der Umgebung gecheckt. Die Luft ist rein. Das ist meine Chance.«
»Schön, aber …«
»Mir passiert schon nichts.«
»Das behaupte ich ja auch nicht. Aber es schadet doch trotzdem nichts, wenn ich vorbeikomme und dir den Rücken frei halte.«
»Nett von dir. Aber ich würde das lieber … allein machen. Verstehst du das?«
Eine Pause entstand. Dann seufzte er und sagte: »Na schön, ganz wie du willst, Mann.«
Ein Teil von mir wollte sich zu Wort melden, wollte mir sagen, dass er recht hatte, dass es nichts schaden konnte. Aber ich hatte das Gefühl, alles im Griff zu haben. Midori würde mich entweder mit in ihre Wohnung nehmen oder mich zum Teufel schicken. So oder so, ich würde nur einen Augenblick brauchen.
»Ich ruf dich hinterher an«, sagte ich zu ihm. »Erzähl dir, wie’s war.«
»Na gut. Sei vorsichtig, Partner.«
Ich klappte das Handy zu und schaltete es aus. Die Sache war schon heikel genug, und ich wollte keine Unterbrechung.
Ich ging ein Stück die Straße hinunter und zog mir die Baseballmütze samt Perücke vom Kopf. Ich wollte die Perücke in die Tasche stecken, aber dann fürchtete ich, Midori könnte sie herauslugen sehen, und warf sie stattdessen weg. Es hätte sie noch misstrauischer machen können, und die Perücke hatte schließlich ihren Zweck erfüllt. Ich stopfte die Baseballkappe in eine Tasche der Windjacke. Ich wartete. Wenige Minuten später näherte sich ein Taxi. Ich steuerte darauf zu.
Das Taxi hielt vor Midoris Haus. Die Tür öffnete sich. Ich blieb drei Meter entfernt auf dem Bürgersteig stehen.
Midori stieg aus. Sie dankte dem Fahrer und schloss die Tür. Das Taxi fuhr weiter.
Midori blickte auf und sah mich. Sie erstarrte.
Ich wollte etwas sagen, aber es kam nichts heraus. Ein langer Augenblick verstrich.
Schließlich sagte ich: »Midori.«
Sie beobachtete mich. Ich wollte mich umsehen, die Umgebung überprüfen. Ich widerstand dem Drang. Sie hatte es immer schrecklich gefunden, dass ich ständig auf der Hut war. Es steigerte ihren Argwohn mir gegenüber.
»Warum bist du hier?«, fragte sie.
»Du weißt warum.«
»Wie hast du …«, setzte sie an, brach dann ab. Vermutlich hatte sie entschieden, dass es im Grunde keine Rolle spielte. Oder sie wollte es nicht
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