Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
du zuletzt jemanden getötet?«
Ich überlegte, was ich antworten sollte. Ein langer Augenblick verging.
Sie lachte wieder. »Daran müsstest du doch sehen, dass etwas nicht stimmt. Wie viele Leute müssen über so eine Frage nachdenken?«
Ich spürte, wie ich rot anlief. »Du willst wissen, wann ich zuletzt jemanden getötet habe? Vor etwa einem Monat. Und der Typ, den ich getötet habe, war einer der schlimmsten Bombenbauer auf der Welt. Weißt du, was es gebracht hat, ihn zu töten? Es hat zahllose Menschenleben gerettet.«
»Das reden sich wahrscheinlich alle Killer ein.«
Die Wut, die ich im Zaum zu halten versuchte, brach plötzlich durch. »Und das reden sich wahrscheinlich alle Yuppie-Jazz-Pianistinnen ein, weil sie sich dann so gottverdammt überlegen fühlen.«
Sie funkelte mich erbost an. Gut, dachte ich. Das hab ich gebraucht.
»Vielleicht hast du recht«, sagte ich. »Vielleicht ist mein Problem, dass ich mir was vormache. Aber deins ist Verdrängung. Glaubst du denn, du kannst so ein blitzsauberes Leben führen, ohne dass andere sich die Hände schmutzig machen? Willst du wirklich, dass Koichiro in einer Welt heranwächst, wo keiner da draußen versucht, solche Typen auszuschalten wie die, die zwei Meilen südlich von hier die Türme zum Einsturz gebracht haben?«
Wir schwiegen einen Augenblick, starrten einander zornig an, atmeten schwer.
»Aber du tötest nach wie vor Menschen«, sagte sie.
Ich schloss die Augen. »Ehrlich, ich versuche, mein Leben zu ändern. Etwas Gutes zu tun. Und zum großen Teil … zum großen Teil bist du der Grund dafür. Du und dein Vater.«
Wieder trat eine Pause ein. Sie sagte: »Vielleicht hast du ja recht, vielleicht bewirkt das, was du tust, dass Kinder wie Koichiro nachts sicher schlafen können. Aber darum geht es nicht. Es geht um dich. Um das Leben, das du führst, und die Sachen, die du machst. Damit würdest du Koichiro in Gefahr bringen. Siehst du das denn nicht?«
Unter dem Gewicht ihrer Worte sackte ich fast zusammen. Schließlich hatte ich schon für diesen einzigen verlegenen Besuch zuerst die Lücken in Yamaotos Überwachung finden müssen.
»Ich weiß, dass ich dir etwas bedeute«, fuhr sie fort. »Und auch Koichiro, obwohl du ihn noch nicht mal gesehen hast. Wieso würdest du uns in Gefahr bringen wollen?«
Ich schloss die Augen und atmete aus. Ich hatte kein Gegenargument. Sie hatte recht. Ich fragte mich, was ich mir bloß dabei gedacht hatte, überhaupt herzukommen.
Ein langer, stummer Moment zog sich hin.
»Also schön«, sagte ich und nickte. »Okay.«
Sie blickte mich an. Ich sah Mitleid in ihren Augen, und das tat weh.
»Danke«, sagte sie.
Ich nickte erneut. »Könnte ich … meinen Sohn nur mal kurz sehen?«
»Ich glaube nicht, dass das …«
Ich schaute sie an. »Bitte. Schick mich nicht weg, ohne dass ich ihn gesehen habe.«
Nach einem langen Augenblick deutete sie auf die Tür, aus der Digne kurz zuvor gekommen war. Sie drehte sich um, und ich folgte ihr.
Der kleine Raum war ein Eckzimmer mit Fenstern auf zwei Seiten. Die Vorhänge waren geschlossen. Ich sah ein Kinderbettchen, einen Wickeltisch, einen Schaukelstuhl. Eine Lampe in Häschenform war heruntergedimmt und verströmte Behaglichkeit.
Wir traten an das kleine Bett. Ich legte die Hände auf den Rand und blickte nach unten.
Da lag unter einer blauen Fleecedecke ein kleiner Junge mit dunklem Haarschopf auf der Matratze. Seine Augen waren geschlossen, und er hatte eine winzig kleine Nase. Ich sah, wie seine Brust sich im Schlaf hob und senkte.
Zum ersten Mal begriff ich, dass das alles real war. Das da war mein Kind. Ich war sein Vater.
Ich spürte, wie mir die Tränen kamen, und ich blinzelte sie weg. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal geweint hatte, und ich würde bestimmt nicht heute Nacht damit anfangen, vor Midori.
»Könnte ich … hättest du was dagegen, wenn ich …«, setzte ich an.
Midori blickte mich an, nickte dann. Sie griff in das Bettchen und hob Koichiro behutsam heraus, noch immer in seine blaue Decke gewickelt. Sie küsste ihn sanft auf die Stirn, blickte dann wieder mich an. Ihre Augen waren groß und aufrichtig, und ich sah, dass sie Angst hatte. Aber sie tat es trotzdem. Verdammt, ich musste schon wieder blinzeln.
Sie legte das Baby vorsichtig in meine Arme und blieb dicht bei mir stehen, beobachtete mich. Der Kleine stieß im Schlaf einen langen Seufzer aus und wandte sich mir zu, als suchte er nach Wärme. Ich
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