Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
Hühnersuppe und ein dickes Pastrami-Sandwich. Die vielen New Yorker Diner, die rund um die Uhr geöffnet hatten, waren ein Geschenk des Himmels, wenn man nachts arbeiten musste.
Als Dox mich endlich in der Nähe des Ritz absetzte, ging die Sonne auf, und ich war völlig gerädert. Ich sagte ihm, ich würde ihn anrufen, wenn ich ausgeschlafen hatte und wieder klar denken konnte.
Ich duschte so heiß, wie ich es aushalten konnte, um mir die letzten Spuren Kälte aus den Knochen und den Geruch nach Blut und Hudson River von der Haut zu spülen. Ich fiel ins Bett, und einen Moment lang war ich wieder draußen vor Midoris Wohnung, durchdrungen von betörender Hoffnung. Ich war noch nicht ganz eingeschlafen, aber es fühlte sich schon an wie ein Traum.
10
I CH SCHLIEF BIS ZUM SPÄTEN Vormittag. Dann verließ ich das Hotel und rief von einem Münztelefon Tatsu in Tokio an.
Er meldete sich nach dem vierten Klingeln. Normalerweise war er immer gleich nach dem ersten dran.
»Hai« , sagte er. Er klang müde. Na ja, bei ihm war es ja auch Nacht.
»Ore da« , sagte ich auf Japanisch. Ich bin’s.
»Ich ruf über eine andere Leitung zurück.«
Seine Stimme war richtig heiser. Das musste eine verdammt üble Erkältung sein, die er sich da eingefangen hatte.
»Alles klar«, sagte ich und legte auf.
Gleich darauf klingelte das Telefon. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich Wechsel die Telefone in letzter Zeit häufiger.«
»Benutzt du keinen Scrambler?«
Er lachte, hustete dann. »Nur wenn wir versuchen, die NSA auf uns aufmerksam zu machen.«
Ich schmunzelte. Ein gescrambeltes Digitalsignal lockt die NSA an wie Blut einen Hai. Ein Scrambler hat ungefähr dieselbe Wirkung, wie wenn sich einer ganz nah zu jemandem rüberbeugt, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern: Jeder wird sofort angestrengt lauschen. Da ist es besser, das Gespräch einfach woanders zu führen, wo keiner hinsieht.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte er. »Konntest du dich mit ihr treffen?«
»Ja.«
»Und dein Sohn?«
»Den hab ich auch gesehen.«
»Nur gesehen?«
»Nein, mehr als gesehen. Ich …« Ich stockte, die Erinnerung schien irgendwas in meiner Brust zu verschieben. »Ich hab ihn im Arm gehalten, während er schlief.«
»Das ist gut«, sagte er, und ich stellte mir vor, wie er lächelte.
»Alles in Ordnung mit dir?«, sagte ich. »Deine Erkältung hört sich schlimm an.«
»Mir geht’s gut.«
»Ich stecke in einer Situation, in der ich deine Hilfe brauche. Ich stelle die Informationen ins Bulletin Board.«
»Kann sein, dass ich das Bulletin Board eine Weile nicht einsehen kann. Ich bin im Krankenhaus.«
Ich runzelte die Stirn und presste den Hörer fester ans Ohr. »Was ist los?«
»Nichts, ich bin hier bald wieder raus. Erzähl mir von deiner Situation. Die klingt dringender als meine.«
»Ist dein Telefon auch wirklich sicher?«
»Absolut.«
Okay. Ich erzählte ihm alles.
Als ich fertig war, sagte er: »Was denkst du?«
»Du weißt, was ich denke. Ich kann nicht mittendrin aufhören. Ich muss die Sache zu Ende zu bringen.«
»Du meinst …«
»Hör mal, die Chinesen handeln nur im Auftrag. Sie kennen mich nicht, sie wissen nicht, wozu ich fähig bin. Daher werden sie die naheliegende Erklärung für das, was mit ihren Leuten passiert ist, glauben: Ein junger Spund, der für seine Gewaltausbrüche bekannt ist, hat die Beherrschung verloren, seinen Boss umgebracht und ist untergetaucht. Aber Yamaoto wird nicht darauf reinfallen. Und er wird nicht locker lassen, bis er die Chinesen davon überzeugt hat, dass der Tod der beiden auf meine Kappe geht. Ich hab also lediglich ein bisschen Zeit gewonnen, indem ich die beiden Chinesen ausgeschaltet hab. Wenn ich nicht auch Yamaoto eliminiere, war alles umsonst. Schlimmer noch, denn wenn die Chinesen dahinterkommen, was wirklich passiert ist, könnten sie sich an Midori und meinem Sohn rächen. Sie wissen, wo die beiden wohnen, verdammt nochmal. Schließlich beschatten sie sie schon eine ganze Weile.«
Eine Pause entstand. Endlich sagte er: »Ich bin ganz deiner Meinung.«
»Natürlich bist du das. Genau darauf hast du es doch angelegt. Glaub nicht, dass ich das nicht weiß.«
»Ich hatte nicht die Absicht, deinen Sohn in Gefahr zu bringen.«
»Du hast mir die Fotos gezeigt, um den Kleinen für mich wirklicher zu machen, um es mir unmöglich zu machen, ihn zu ignorieren. Sonst hättest du es mir einfach erzählen können.«
»Vielleicht, aber …«
»Du bist ein manipulativer
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