Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
»Ich würde sagen, es lohnt sich.«
Ja, bisher stimmte das. Aber es war noch nicht vorbei.
19
D ELILAH TRANK EINEN C APPUCCINO IM Chez Prune am Canal Saint-Martin, einem ihrer Lieblingscafés in Paris. Normalerweise genügte es, wenn sie eine Stunde allein hier saß und Leute beobachtete oder ein Buch las oder einfach nur aufs Wasser schaute, damit sich ihr Körper entspannte und sie ihren Kopf leer bekam. Doch heute blieb diese Wirkung aus.
In den paar Tagen, die sie nach der Begegnung mit Midori noch in Manhattan verbracht hatte, war es ähnlich gewesen. Sie hatte ein paar Museen und Galerien besucht, war in den Boutiquen im Meat Packing District shoppen und im Central Park joggen gegangen, aber es hatte alles nichts genützt. Sie war froh, als sie endlich wieder zu Hause war. Doch auch hier fühlte sie sich nicht wirklich besser.
Was ihr zusetzte, war die Erkenntnis, dass sie sich die Reise nach New York wahrscheinlich genauso gut hätte sparen können. Sie war frustriert und eifersüchtig und wütend gewesen, und das alles hatte ihr Urteilsvermögen getrübt. Jetzt jedoch, wo ihr klar geworden war, dass Rain Midoris Vater getötet hatte und die Frau es wusste, hatte sich ihre Perspektive geändert. Kein Mensch kam über so etwas hinweg, auch dann nicht, wenn ein Kind im Spiel war. Durchaus möglich, dass Midori in dem Augenblick »durcheinander« gewesen war, dass die Leidenschaft, die sie einst mit Rain verbunden hatte, kurzfristig neu entflammt war, als ihr früherer Liebhaber plötzlich wieder in ihrem Leben auftauchte. Aber eine feste Beziehung zu dem Mörder ihres Vaters käme einem Verrat gleich.
Ja, sie hätte vermutlich besser daran getan, Rain und Midori einfach selbst erkennen zu lassen, dass Rains Tat den Boden, auf dem sie standen, für immer vergiftet hatte. Wahrscheinlich hätten sie um des Kindes willen im Laufe der Zeit eine gewisse Umgangsform gefunden, aber das war normal und eigentlich ja auch durchaus wünschenswert. Viele Menschen hatten Kinder aus früheren Beziehungen. Sie ließen sich scheiden und heirateten wieder, aber natürlich hatten sie weiterhin Kontakt zu ihren Sprösslingen. Wieso sollte das bei Rain anders sein? Und wieso sollte sie ihm die Möglichkeit verwehren wollen?
Also, was hatte sie durch den Besuch bei der Frau gewonnen? Eigentlich nur ein paar Informationen, aber nichts, was den Verlauf ändern würde, den die Dinge ohnehin genommen hätten. Und die gewonnenen Informationen waren möglicherweise teuer erkauft: Falls Midori Rain erzählte, was Delilah sich geleistet hatte, wäre er verständlicherweise empört. Sie wusste nicht, wie es dann weitergehen würde.
Und sie war besorgt. Die Frau hatte gesagt, Rain habe geweint, als er sein Kind in den Armen hielt. Genau davor hatte Delilah Angst gehabt, als Rain Barcelona verließ. Angst davor, dass er sich wieder auf Midori einlassen würde, ja, aber auch, dass er nicht mehr er selbst wäre, dass diese neuen Gefühle seine Fähigkeit beeinträchtigen würden, sich selbst zu schützen. Sie fragte sich, was er in Tokio vorhatte. Was auch immer es war, sie bezweifelte, dass es klug oder gut durchdacht war.
Aber darüber hinaus bedrückte sie noch etwas anderes. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie gegen den Mann operiert hatte, für den sie doch angeblich tiefe Gefühle hegte. Kaum deuteten sich erste Probleme an, kaum meldeten sich bei ihr Zweifel und Ängste, schon griff sie auf die professionellen Hilfsmittel und Taktiken zurück, die ihre Welt in Agenten und Spitzel, Killer und Zielpersonen unterteilte.
Wenn sie es nicht schaffte, Beruf und Privatleben voneinander zu trennen, wenn sie sich bei beidem vom selben Denken leiten ließ, würde sie sich selbst verlieren. Sie kannte solche Männer in ihrer Organisation – Männer, die sich für überlegen hielten, die ihre Ausbildung benutzten, um ihre Macht zu festigen, ihre Kollegen zu manipulieren und ihre Geliebten vor ihren Ehefrauen zu verbergen. Sie hielt sie für ausgebrannt und fand sie erbärmlich. Und jetzt stellte sie erschrocken fest, dass sie genauso gewöhnlich sein konnte wie sie.
Tja, ihr blieb nur die Wahl, sich des Problems bewusst zu sein und der Versuchung nie wieder nachzugeben. Ganz gleich, was es sie kostete.
Sie hätte fast gelacht. Sie war noch immer so unglaublich wütend auf Rain, und doch hatte sie jetzt das Gefühl, ihm Unrecht getan, ihn fast verraten zu haben.
Sie wusste nicht, wie sie das wiedergutmachen könnte, aber
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