Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
faltet, damit sie nicht gegen Kloschüssel und Waschbecken knallt.
Ich stieg die an die Hausfassade montierte Wendeltreppe hoch und öffnete die schmale Außentür. Das Lokal hatte sich kein bisschen verändert. Die Mama-san stand hinter der Bar und bediente die Espressomaschine. Ich erkannte sie von früher, und genau wie das Volontaire, das irgendwie zeitlos war, schien auch sie nicht gealtert zu sein: eine elegante, attraktive Frau, vermutlich in den Fünfzigern, aber wer wusste das schon so genau? Sie rief irasshaimase – willkommen –, ohne dabei aufzublicken. Als sie mich kurz darauf ansah, lächelte sie und sagte: » Hisashiburi desu ne. « Es ist lange her.
Das ist das Problem bei den richtigen guten Bars. Die Kunden werden wiedererkannt.
»So da ne« , sagte ich, eine Zustimmung, die keine Aufforderung zum Plaudern war, und trat ein. Die Tür schloss sich hinter mir, und der Verkehrslärm von draußen erstarb.
Der Laden war halb voll – es war Lunchzeit, noch nicht Kaffeestunde –, und ich nahm einen Hocker am kurzen Ende der Bar. »Light Foot« von Altsaxophonist Lou Donaldson spielte, und das Album stand mit der Vorderseite nach vorn auf einem Regal, damit alle es sehen konnten. Die Gäste des Volontaire kommen ebenso wegen der Musik wie wegen der Atmosphäre und wissen gern, was sie gerade hören.
Ich bestellte die Hausmischung und ein Roastbeef-Sandwich, und dann überließ ich mich dem Duft der Bohnen, den selbstbewussten Klängen von Donaldsons Saxophon und dem wunderbaren Gefühl, an einem Ort allein zu sein, der eine gewisse Geschichte und Würde hatte. Es dauerte nicht lange, und ich war in Gedanken versunken.
Ich hoffte, dass ich das Richtige tat. Nicht nur, indem ich Delilah um Hilfe bat, sondern mit dem ganzen Unternehmen. Anfänglich hatte ich nur gehofft, Midori und meinen Sohn zu sehen, und jetzt steckte ich mitten in einem Krieg, lediglich bemüht, den Vorkriegszustand wiederherzustellen. Irgendwie barg jeder Schritt, den ich tat, ebenso sehr die Aussicht auf eine endgültige Lösung wie die Gefahr des Schlimmstmöglichen.
Und ich hatte mich geweigert, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Selbst als Tatsu das Thema anschnitt, als er von seiner Angst sprach, er könnte meinen Sohn in Gefahr gebracht haben, hatte ich ihn mit irgendeinem abgedroschenen Spruch unterbrochen, wir würden die ganze Sache schon in Ordnung bringen.
Aber vielleicht würden wir das ja doch nicht. Im Krieg ging vieles schief, das war immer so. Du konntest versuchen, den Einfluss von Glück und Zufall einzukalkulieren, aber du konntest sie niemals als Faktoren ausschließen. Und wenn mein Glück jetzt umschlug oder wenn ich irgendetwas Unbedachtes tat wie bei der Sache in Manila vor gar nicht langer Zeit …
Sag es, verdammt nochmal. Mach dir nichts vor.
Midori und mein kleiner Junge würden ermordet werden, ehe ich es irgendwie verhindern könnte. Und es wäre meine Schuld.
Ein Frösteln durchfuhr mich, als mir die Realität dieser Möglichkeit bis ins Mark drang.
Zum ersten Mal stand ich vor einem echten Risiko. Und mit einem Mal kamen mir sämtliche Risiken, die ich je eingegangen war, im Vergleich dazu wie alberne Spielchen vor. Bis zu diesem Augenblick war der einzige Spieleinsatz, den ich auf den Tisch gelegt hatte, mein eigenes Leben gewesen. Wenn ich diesmal verlor, würde mein Sohn dafür mit seinem Leben bezahlen.
Ich wusste, dass es in gewisser Weise unklug von mir war, darüber nachzudenken. Wenn du dich auf die Risiken konzentrierst, vervielfachen sie sich in deinem Kopf und lähmen dich schließlich. Konzentrier dich stattdessen lieber auf die Aufgabe, auf das, was getan werden muss.
Warum also quälte ich mich so?
Du weißt warum.
Ich seufzte. Es gab eine Alternative. Und ich musste mich ihr offen stellen, mich für sie entscheiden oder sie verwerfen, gezielt und bewusst. Ansonsten würde es mir nie gelingen, einen klaren Gedanken zu fassen und entschlossen zu handeln.
Samstagabend könnte ich auf Yamaoto zugehen und mir vor seinen Augen eine Kugel durchs Gehirn jagen. Dann wären wir quitt. Da er oder die Chinesen mir nichts mehr würden antun können, hätten sie auch keinen Grund mehr, Midori oder meinem Sohn etwas anzutun. Eine bessere Garantie für ihre Sicherheit konnte es nicht geben.
Ich wollte es nicht tun. Wenn ich es tun müsste, wenn ich wüsste, dass es die einzige Möglichkeit wäre, würde ich es tun. Aber wie konnte ich, solange es noch eine Chance gab, mit weniger
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