Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
drastischen Mitteln zum Erfolg kommen?
Mein Vater ist kurz nach meinem achten Geburtstag gestorben. Ich bin ohne ihn aufgewachsen, und sein Tod und die Lücke, die er hinterließ, waren die ersten und vielleicht entscheidenden Narben, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin. Wie würde es für meinen Sohn sein, ohne mich aufzuwachsen? Würde ein fehlender Vater ihm genauso schaden, wie es bei mir gewesen war? Oder würde es keine Rolle spielen, weil ich ja von vornherein nie da gewesen war?
Das war egal. Mein Wunsch, Teil seines Lebens zu sein und ihn in meinem Leben zu haben, hatte mich überhaupt erst das Risiko eingehen lassen, Midori zu besuchen. Was das anging, waren meine Gefühle jetzt so stark wie eh und je.
Falls ich irgendwann zu dem Schluss kam, dass ich nur durch einen Selbstmord Schaden von meinem Sohn abwenden konnte, würde ich es tun, bereitwillig, dankbar. Aber nicht jetzt. Nicht, solange noch Aussicht auf einen besseren Weg bestand.
Aber ich würde mit Dox reden und ihm sagen, wie er Midori und Koichiro meinen Anteil von dem Geld zukommen lassen konnte, das wir in Wajima erbeutet hatten. Nur für alle Fälle.
Mir war klar, dass ich mir möglicherweise etwas vormachte. Das war mir egal. Ich würde Yamaoto nicht mein Leben anbieten, ohne zuvor alles versucht zu haben, das seine zu beenden.
Ich spürte, wie in meinem Kopf irgendetwas zumachte, die alten emotionalen Schotten, die alles hermetisch hinter sich verschlossen und mich so erst in die Lage versetzten, das zu tun, was getan werden musste. Ein Teil von mir war entsetzt, dass ich diese Fähigkeit unter den derzeitigen Umständen überhaupt noch besaß. Aber ich wusste auch aus langer Erfahrung, dass es für mich die einzige Möglichkeit war, die Sache zu erledigen.
Ich schaute nach unten und sah, dass ich Kaffee und Sandwich nicht angerührt hatte. Schluss damit. Ich aß und trank und überlegte dann, welche Hilfsmittel wir für den morgigen Abend brauchen würden.
31
A M A BEND GING ICH ZU Dox ins Hotel Prince in Shinagawa. Unterwegs kaufte ich Sandwiches und Beilagen für drei Personen bei Dean & DeLuca, einem Laden, der für die Gegend eigentlich zu vornehm war.
Dox öffnete die Tür, als ich klopfte, und schaute hinter mich. »Wo ist deine Lady?«
»Kommt bald, soweit ich weiß. Und nenn sie nicht so.«
Ich trat ein, und er schloss die Tür hinter mir. »Habt ihr euch gestritten?«, fragte er.
»Ich weiß nicht.«
»Du hast sie wohl wieder sauer gemacht.«
»Sieht so aus.«
»Wenn du so weitermachst, läuft sie zu mir über. Und du wirst mir keine Schuld geben können, wenn das passiert.«
Ich rieb mir den schmerzenden Oberschenkel. »Du kannst sie haben.«
»Tut mir leid, Mann. Ihr müsst euch ja ganz schön übel gezofft haben.«
Ich fing an, das Essen aus den Tüten zu nehmen und auf den Tisch zu legen.
»Mmm, das riecht lecker«, sagte Dox. »Aber ich denke, wir sollten auf deine Lady warten.«
Ich funkelte ihn an, nur, um sein unbezähmbares Grinsen zu ernten.
Während wir auf Delilah warteten, holte ich den Gebäudeplan und zeichnete ein Gitternetz darauf. Von oben nach unten versah ich ihn am Rand mit den Buchstaben A bis K, von links nach rechts mit den Zahlen eins bis vierundzwanzig. Als ich fertig war, hatten wir eine praktische und zuverlässige Grundlage, um über jede einzelne Position im Club zu sprechen.
Ein paar Minuten später klopfte es. Dox spähte durch den Spion, öffnete dann die Tür. Es war Delilah.
»Na, hallöchen«, sagte er. »Das nenn ich eine Augenweide.«
Und das war sie. Sie trug ein schwarzes Cocktailkleid aus einer Art bestickter Spitze, über die Schulter hatte sie ein Satin-Capelet geworfen. Sie hatte hochhackige Schuhe an, aber keine Stilettos, was eine Spur zu viel gewesen wäre. In der Hand hielt sie ein Abendtäschchen, das mit schwarzen Seidenperlen verziert war. Das Haar war nach hinten gesteckt, und sie hatte nur ganz wenig rauchgrauen Lidschatten und einen Hauch Gloss auf den Lippen aufgetragen.
»Dox«, sagte sie lächelnd. Sie kam herein, und er schloss die Tür hinter ihr. Dann drehte sie sich um und küsste ihn auf beide Wangen. Ich sah, dass das Kleid im Rücken ungemein tief geschnitten war. Was man von ihrem Rücken sah, war atemberaubend, und darunter schmiegte sich der Stoff genau an den richtigen Stellen an – als ob ihr Körper, nicht das Kleid, für die fesselnde Wirkung verantwortlich waren. Der allgemeine Eindruck war kultiviert, selbstbewusst und
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