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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Norden« schloss ein Rechteck von Thekenplätzen vier Köche und Barmänner ein. Sie versorgten den ganzen Landen mit Essen und Trinken. An jeder Seite der Theken saßen sechs Gäste, darum herum quetschten sich Tische ins Dunkel der Ecken. Zwei Bedienungen zwängten sich irgendwie mit dem Bestellten mittendurch. Es duftete nach Hühnerspießen und gebratenen Krebsen auf dem Holzkohlegrill. Wir hatten wieder Hunger und bestellten marinierte Tintenfischstücke in Alufolie, rohe Austern und Sesam-Tofu. Dazu heißen Sake zum Aufwärmen nach dem Weg.
    Für Miguel und Kenji wurde es bald Zeit, die letzte U-Bahn zu erwischen. Ich verabredete mich fürs kommende Wochenende mit Kenji, und er versprach, Akiko Bescheid zu sagen. »Meine letzte Bahn kommt!«, rief er und rannte los. In Tokio, der 30-Millionen-Stadt mit der riesigen Ausgehszene, fahren nach Mitternacht nur noch Taxis.

    Das Apartmenthaus, in dem ich zu jener Zeit wohnte, stand auf einem Hügel. Ich konnte also durch die Glasfronten über die Stadt blicken. »Auf einem Hügel« heißt allerdings nicht, dass so etwas wie ein Hügel zu sehen gewesen wäre. Der Verlauf des Geländes ließ sich nur daraus erschließen, dass die Straßen in meine Richtung eine leichte Steigung annahmen. Vor allem an klaren Abenden konnte ich meine Gäste mit dem Ausblick beeindrucken.
    Tokios Innenstadt hat keine Skyline wie Hongkong oder Manhattan. Vor mir ausgebreitet lag also ein eher dunkles Gewirr von Gässchen mit kleinen Häusern. Jedes davon
stand einzeln, jedes davon war anders. Es sah so aus, als hätte jemand eine Kiste Bauklötzchen über den Betongrund ausgekippt. Dahinter erst erhoben sich die Hochhäuser, aus denen die Lampen in den Büros spätabends leuchteten. Auf ihren Dächern blitzten rote Warnlichter.
    Doch jetzt herrschte heller Tag, und leichter Dunst lag bis über den Horizont auf den Häusern und Wolkenkratzern, so dass der Berg Fuji nicht zu sehen war. Ich riss mich von der Aussicht los, um nach Ikebukuro zu fahren.
    Im Café Pronto warteten nicht nur Miguel und Sachiko auf mich, sondern zu meiner Überraschung auch Akiko. Pronto war zwar auch eine Kette, aber gut gemacht. Es duftete immer intensiv nach Espresso, und es wurde Jazz gespielt. »Mensch, lange nicht gesehen«, rief Akiko. »Wirklich, wirklich lange«, sagte ich.
    Dann, ganz Akiko, motzte sie erst mal: »Das ist ja mal wieder typisch deutsch, sich hier mit diesen Riesentüten breitzumachen. Was hast du denn alles gekauft?«
    Japaner scheinen trotz ihrer Konsumwut nie viel Gepäck dabeizuhaben. Ich hätte meine Einkäufe in einem Schließfach verstauen sollen, bevor ich herkam.
    »Es ist das erste Mal, dass wir uns treffen. Ich bin Finn«, sagte ich zu Miguels Frau Sachiko.
    »Es ist das erste Mal. Schön, dich kennen zu lernen«, antwortete sie.
    Da sich alle außer Sachiko und mir schon kannten, unterhielten wir beide uns erst mal über das Wichtigste. Sie arbeitete als Architektin, war seit zwei Jahren mit Miguel verheiratet und wollte auf keinen Fall mit ihm nach Kolumbien gehen, das folgerte ich aus ihren zurückhaltenden Äußerungen.
»Ich habe schon viel von dir gehört!«, sagte Sachiko. Ich erzählte ein bisschen von meinem Job und fragte sie, welche Gebäude in Tokio sie entworfen habe. Alles sichere Themen, für die mein Japanisch auch in der Anfangsphase ganz gut reichte. Sachiko stellte eine Frage, die ich oft zu hören bekam und die mich jedes Mal aufs Neue erstaunte: »In welcher Sprache schreibst du denn diese Artikel? Auf Japanisch oder auf Englisch?« Andere Sprachen scheint es für die Japaner nicht zu geben.

    Yusuke sah ich in Tokio zum ersten Mal seit Fukui wieder, als Akiko uns in dem Lokal Zauo zusammenbrachte. Die Gäste angelten dort ihre Fische mit kurzen Ruten aus einer Wasserlandschaft, die das gesamte Lokal durchzog. Kenji war auch dabei.
    »So schön wie am Atommeiler ist es hier aber nicht«, sagte Akiko.
    Wir saßen in einem der Einzelabteile mit Tatami, wo wir die Beine in ein Loch unter dem niedrigen Tisch baumeln ließen. Unsere vier Haken hingen ins Wasser, es biss erst mal nichts an, wir tranken Sapporo-Bier und aßen dazu gekochte Knabberbohnen und Salat mit Sesam-Tofu. Um uns herum lärmten Kellner und Familien. Jedes Mal, wenn ein neuer Gast hereinkam, verbreitete sich das »Willkommen« des Personals durch den ganzen Laden.
    Von Akiko wusste ich, dass Yusuke nicht viel mit seinem Job angeben konnte. Er hatte sich seit Fukui ins Heer der Aushilfsarbeiter

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