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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Firmenangestellter und Ehemann.
    »Ich war heute bei der Alien Registration«, sagte ich.
    »Da verbringe ich auch viel Zeit. Meine Sachbearbeiterin auf dem Ortsamt ist bereits eine alte Bekannte von mir. Zeig mal deine Alien-Karte.«
    »Muss das sein?«
    Ich zog meinen Geldclip heraus und gab ihm die Karte. »Du darfst bis Ende 2009 bleiben«, entnahm er der Karte. »Und du arbeitest jetzt für eine Wirtschaftszeitung.« Die reflektierenden Rillen der Plastikkarte glitzerten, während Miguel sie hin und her drehte.
    Jeder Nichtjapaner erhält so einen Ausländerausweis. Schon in Fukui musste ich ihn immer mit mir herumtragen, damals noch mit meinem Fingerabdruck drauf.
    »Ein unmöglicher Name, Alien Registration«, sagte ich.
    »Gewöhn dich dran, du bist jetzt ein Außerirdischer. Die Japaner wissen halt nicht, dass in Wirklichkeit sie die Aliens sind.«

    »Ihr seid leicht zu finden. So viele Deutsche und Südamerikaner sitzen hier ja nicht zusammen. Lange nicht gesehen«, sagte plötzlich Kenji neben uns. Welch ein Unterschied zur Begrüßung mit Miguel. Wir hatten uns umarmt, gegenseitig
auf den Rücken geklopft, uns in Armeslänge betrachtet und uns laut versichert, dass wir besser aussähen als je zuvor.
    »Wirklich lange nicht gesehen«, sagte ich also einfach zu Kenji. Nicht alle Japaner mögen emotionale Zeremonien mit großen Umarmungen.
    »Entschuldigung!«, rief Kenji erst mal. »Drei Bier!«
    »Verstanden! Drei Bier!«, echote es von all den emsigen Kellnern in weißen Yukata gleichzeitig. Der Ruf pflanzte sich bis zum Zapfhahn fort.
    Kenji sah genauso aus wie damals. Er gehört zu den Japanern, die sich von der Mittelschule bis ins Rentenalter nur wenig verändern. Die Sache ging jetzt also einfach da weiter, wo sie aufgehört hatte. Wir sprachen ab jetzt Japanisch. Es war fast wie damals in Fukui: Wir saßen mit Sapporo-Bier, Knorpel-Dreiecken und Leberspießchen bei Akiyoshi. Ich wurde richtig froh, mit Japan am Ball geblieben zu sein, trotz der vielen Schriftzeichen und grammatischen Feinheiten.
    Kenji und ich stellten uns all die Fragen, die vorher auch Miguel und ich uns gegenseitig beantwortet hatten, um uns wieder auf den neuesten Stand im Leben des anderen zu bringen. Kenji arbeitete für einen Elektrokonzern. Er wohnte in der Stadt Kawasaki und musste daher morgens eine Stunde bis zu seinem Arbeitsplatz fahren.
    Wir stoppten an diesem Abend noch in drei Trinkläden und zogen dabei einen großen Halbkreis um den Bahnhof von Ikebukuro. Die Zweigstelle von Akiyoshi lag in einer Straße mit exotischen Restaurants: indisch, mexikanisch, türkisch, und mit »Akiyoshi« auch ein Laden aus Fukui. Von hier aus waren es nur einige hundert Schritte bis zum Westausgang
des riesigen Bahnhofs, der massig in der Mitte des Viertels lag. Er war mit zwei der größten Kaufhäuser der Welt verschmolzen, jedes größer als das KaDeWe in Berlin. Um die Bahnhöfe reihten sich Spielhallen an Stripbars, dazwischen rangelten Nudelsuppenläden und Handyshops um Kunden. Auf der Straße riefen alle paar Meter Anpreiser ihre Sprüche. Einige zeigten die Menüs von Grillrestaurants vor, andere versuchten uns mit dem Versprechen »Kein Mindestverzehr!« in eine Hostessen-Bar zu locken. Miguel kannte im ersten Stock eine Izakaya, die der Innenarchitekt im Retrodesign der Sechzigerjahre ausgestattet hatte - mit weißem Plastik und Nierentischen. Da wir schon gegessen hatten, bestellten wir nur Bohnen und Käsekuchen. Es kam eiskaltes Ebisu-Bier in schlanken Gläsern.
    Wir redeten eine Weile über die Vor- und Nachteile der Ausgehviertel von Tokio. Auf der Ginza gab es einige schöne Läden, aber die machten alle um elf Uhr abends zu. Roppongi hatte ebenfalls brauchbare Orte, war aber überteuert. In Shibuya trieben sich zu viele hypermodische Teenager herum. Es blieben eigentlich nur Shinjuku und Ikebukuro, behauptete ich. Kenji widersprach, er fände Ikebukuro schmutzig und heruntergekommen.
    Ich führte Kenji und Miguel durch die Unterführung auf die andere Seite des Bahnhofs, weil ich unser nächstes Ziel vorgegeben hatte: einen rauchigen, engen Trinkladen ganz in Holz - als Kontrast zu dem unterkühlten Design des Retro-Ladens. »Der Mann, der aus dem Norden kam«, eine Izakaya mit Stühlen zum Sitzen, fiel durch seine altertümliche Bretterfassade auf.
    So geben sich viele Läden in Tokio Mühe, etwas Besonderes
zu bieten und eine eigene Realität zu schaffen, ein bisschen wie ein Themenrestaurant. Im »Mann aus dem

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