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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Beziehungen. Anscheinend war der Mailverkehr mit ihr von ein wenig Poesie durchweht. Erotische Nachrichten schrieben die beiden sich jedoch offensichtlich nicht.
    Was, wenn Akimi in Wirklichkeit Bewohnerin eines Altenheims wäre? »Das würde keiner so hinkriegen«, sagte Tsuyoshi und war sich komplett sicher. Vermutlich hatte er recht. Die Codes und der Ton der Jugendsprache wechseln praktisch monatlich und lassen sich nicht einfach lernen oder irgendwo nachschauen. Mein Wissen steht noch bei Jugendkürzeln wie »KY«, Abkürzung für Kûki Yomenai, das bedeutete »Kapiert nix«. Doch diese Worte klingen vermutlich so überholt wie »allererste Sahne« auf Deutsch.
    Die Lasagne kam, ich schaufelte Tsuyoshi einen Teil davon auf sein Tellerchen.
    Wusste er, wo die beiden wohnen?

    Yu∼ wohnte in Tokio, Tsuyoshi könnte also bereits mit ihr im gleichen S-Bahn-Wagen gesessen haben. Von Akimi wusste er tatsächlich ziemlich wenig. Ihre Seelen waren offenbar auch ohne Meldungen aus dem prosaischen Alltag miteinander verbunden.

    Tsuyoshi war bei weitem nicht der einzige Japaner mit virtuellen Freunden und zudem ein ziemlich harmloses Beispiel. Sehr seltsam fand ich auch die Welt der Otakus mit ihren Beziehungen zu Comic- und Computerwesen. »Otaku« heißt »Stubenhocker«. In Japan haben die Computerfreaks eine eigene Kultur mit einer eigenen Warenwirtschaft geschaffen.
    Im Elektronikviertel Akihabara stolperte ich in eines der Spezialgeschäfte für diese Kunden. Die fünf Etagen waren nur durch eine enge Treppe und einen winzigen Aufzug miteinander verbunden. Dort gab es ausschließlich Romantikspiele für Computer und Spielkonsolen. Der Spieler muss darin nach und nach an ein Mädchen herankommen. In den harmloseren Ausführungen zeigen Zwischensequenzen zunächst noch lange, wie das virtuelle Mädchen mit der Spielfigur Händchen hält. In den derberen Varianten ist schon früh allerlei Haut zu sehen.
    Wer nur die Poster in dem engen Treppenhaus der Fachgeschäfte sieht, könnte denken, er sei im Pornoladen gelandet. Der Unterschied ist bloß: Echte Pornografen dürfen in Japan niemals so viel zeigen wie Computerspiele. In den Fantasiewelten ist auch Vergewaltigung möglich. Der japanische Staat sieht weg, denn im realen Leben sind Vergewaltigungen in Japan immer noch viel seltener als in anderen Ländern.

    In anderen solcher Spiele müssen die Spieler bloß eine romantische Beziehung zu einem Mädchen aufbauen. Ein 25-Jähriger nahm die Sache ein wenig zu ernst: Er lud seine Verwandten zu einer Hochzeitszeremonie ein, in der er so eine Spielfigur heiratete. Sie stand auf einem mannshohen Flachbildschirm neben ihm vor dem Priester.
    Ein anderer Otaku übertraf das noch. Taichi Takashita leierte eine Petition gegenüber der japanischen Regierung an, in der er forderte, Eheschließungen mit Comicfiguren vor dem Gesetz zu erlauben. »Es bedeutet Diskriminierung einer nicht zu vernachlässigenden Zahl von Japanern, die Partnerwahl auf biologische Organismen zu beschränken«, sagte er. Er blickte dabei so anklagend, als verletze der Staat wirklich ein Menschenrecht. Takashita forderte konkret, Mikuru Asahina heiraten zu dürfen, eine Figur aus einer Comic-Reihe, die sich um das aufregende Leben von Oberschulmädchen dreht. Er hatte im Viertel der Stubenhocker mühelos mehrere tausend Unterschriften für eine Petition gesammelt, war größenwahnsinnig geworden und zielte jetzt auf eine Million. Takashita fühlte sich in unserer dreidimensionalen Welt nicht wohl und versetzte sich lieber in die zweidimensionale, virtuelle Welt, sagte er.
    Vielleicht sollten wir ihn ernst nehmen. Die Entwicklung dieser virtuellen Kultur ist die emotionale Rettung für jene Otakus, die ihr Zimmer kaum verlassen. Neulich sah ich in der Zeitung eine Umfrage: Einer von vier japanischen Männern zwischen 30 und 34 Jahren hatte noch nie eine intime Beziehung. In den Romantikspielen, in virtuellen Welten mit 3-D-Figuren und in Mangas erhalten sie zumindest teilweise die Zuwendung, die sie brauchen.

    Tsuyoshi war da aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Er hatte Beziehungen zu richtigen Mädchen. »Aber keine davon versteht mich so gut wie Akimi!«, wiederholte er, während er nach der Lasagne die letzt Garnele aß. »Soll ich dir die Adresse von der Kontaktseite sagen?« Ein verlockendes Angebot, doch uns beiden war klar: Ein Nichtjapaner wäre da sicherlich falsch.

    Einen besonderen Stellenwert für die Fetischisten haben die Uniformen der

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