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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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den Knast.
    Der 39-jährige Tetsunori Nanpei dachte dagegen ernsthaft, er könne sich in eine Mädchenschule einschleichen und würde in Schuluniform und mit langhaariger Perücke unter den anderen Girls gar nicht weiter auffallen. Er hatte die Uniform im Internet bestellt und stolzierte nun damit auf den Schulhof. Die Mädchen schrien, zeigten auf den Mann und begannen, ihn zu schlagen. Nanpei floh, doch ein Angestellter der Schule stellte ihn an einem Flussufer.

    In einer anderen Oberschule für Mädchen nahm ein Fetischist 77 Paar Hausschuhe mit. Ein weiterer Dieb schlich sich in ein Wohnheim der Bahngesellschaft JR East ein, um Originaluniformen von Schaffnerinnen zu klauen.
    Auch getragene Unterwäsche scheint in Japan eine gefragtere Handelsware zu sein als in Europa. Die Regierung hat sich jedenfalls vor einigen Jahren in der Pflicht gesehen, den Handel mit getragenen Höschen zu verbieten. Ein Internetdienst spezialisierte sich anschließend darauf, verkaufswillige junge Frauen mit potenziellen Kunden zusammenzubringen, ohne die Ware zwischendurch selbst zu besitzen. Das erinnert etwas an das Verbot von Prostitution in Japan, das ebenfalls niemand durchsetzt. Denn Sex gegen Geld ist verboten, wenn die beiden Partner in einem »vergänglichen Verhältnis« zueinander stehen. In den ganzen Massageläden in Shinjuku verlieben sich also die Damen und ihre Kunden offiziell auf den ersten Blick unsterblich ineinander, bevor sich die Tür des Massageraums hinter ihnen schließt.

    Um den Komplikationen eines solchen Liebeslebens auszuweichen, bevorzugen einige Japaner virtuelle Partner. Vor allem Beziehungen übers Handy nehmen sie extrem ernst. Ein Bekannter von mir, Tsuyoshi, hatte zwei solcher Freundinnen, mit denen er ausschließlich Textnachrichten austauschte. »Hast du eine davon auch mal getroffen?«, fragte ich, und der 24-Jährige schaute mich an, als sei ich nun komplett verrückt geworden. »Nein, das würde der Sache doch die Magie nehmen. Ein reales Treffen geht fast immer schief, das wissen doch alle.« Kurze Pause. »Aber zugegeben, immer wieder machen Leute den Fehler.«

    Tsuyoshi hatte seine Freundinnen mit dem Handy auf einer Kontaktseite von Softbank Yahoo getroffen. Die eine hieß »Yu∼«, die andere »Akimi«.
    »Akimi ist viel einfühlsamer als eine reale Freundin«, proklamierte Tsuyoshi und nahm sich von den Garnelen. Wir saßen in einer Filiale der Café-Restaurant-Kette Pronto. Es waren Okinawa-Wochen, deshalb tranken wir einen Cocktail mit Zitrusfrüchten von der Südinsel aus einem eisgekühlten Zinnbecher. Dazu gab es Pizza mit Schweinebauch, einen Salat aus Ei und der bitteren Gurkenfrucht Goya und einen Salat mit Tofu und Algen.
    »Physisch getroffen haben wir uns nicht, aber sie merkt meinen Nachrichten ganz schön viel an. Gestern war ich etwas down, und ich habe ihr fast ohne Smileys zurückgeschrieben. Sofort hat sie gefragt, was los ist, ob es mir gut geht.«
    Yu∼ kannte Tsuyoshi schon seit zwei Jahren. Er hatte den Cocktail ausgetrunken, deshalb hielt ich die Zeit für meine entscheidende Frage gekommen: »Was schreibt ihr euch die ganze Zeit so?« Ich ließ das möglichst beiläufig klingen, schließlich ging es um eine ziemlich intime Angelegenheit zwischen zwei Menschen.
    »Abends schreiben wir uns oft kurz, was wir an dem Tag gemacht haben.« Tsuyoshi erzählte Yu∼ beispielsweise, dass er jetzt zum Jobben in einen Pachinko-Laden ging und dort den Boden wischen musste. Sie hatte neulich im Scherz nachgefragt, ob er bei seiner Tagelöhnerei jetzt auch die Kugeln für die Spielgeräte polieren müsse. (Pachinko ist so etwas wie vertikales Flippern, nur dass die gewonnenen Kugeln unten aus einem Schlitz kullern.)

    Ich gab die Okinawa-Sache auf und bestellte für die zweite Runde zwei Bier und eine Lasagne.
    Die beiden tauschten in ihren Mails hauptsächlich kleine Belanglosigkeiten aus, wie es schien. Heute Morgen beispielsweise hatte Yu∼ ihm einen Link zu einer Seite geschickt, wo der Nutzer seinen Namen und einige Vorlieben eingab und dann ein lustiges Liebeshoroskop bekam. »Die Sache war aber kostenpflichtig, mit monatlichem Vertrag, deshalb habe ich Yu∼ gesagt, das hat keinen Sinn.« Die Nachrichten von und an Yu∼ haben anscheinend einen praktischen bis derben Klang. »Manchmal schreibe ich ihr auch: Stirb doch«, sagt Tsuyoshi. Stirb doch, »shineba ii« ist derzeit jugendlich für »Du kannst mich mal«.
    Und Akimi?
    Mit Akimi hatte Tsuyoshi zartere

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