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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Schülerinnen. Sie sind an vielen Schulen Matrosenanzügen nachempfunden. In Erotikfilmen erscheint ein Teil der Darstellerinnen unvermeidlich in diesem Aufzug, auch wenn sie die mittleren Jahre schon deutlich überschritten haben. Wer wissen will, woher ich das weiß, muss bloß mal in einem japanischen Businesshotel die Knöpfe auf der Fernbedienung durchprobieren.
    Oberschülerinnen in Uniform sind aus meiner Sicht jedoch vor allem die schlimmsten Hindernisse auf den Bürgersteigen.
    Einzeln wäre jedes dieser Wesen die Freundlichkeit selbst, zurückhaltend und aufmerksam. Einzeln würde es den überholenden Fußgänger mit einer grazilen Geste plus niedlichen Augenaufschlag vorbeibitten.
    In der Gruppe mutieren die Mädchen jedoch völlig. Sie nehmen die Außenwelt gar nicht mehr wahr. Eine Wolke aus Kichern und Geschnatter hüllt sie ein. Diese Schülerinnenwolken sind ineinander verknäuelt durch Handys, die sie sich ständig gegenseitig zeigen. (Vermutlich tauschen sie sämtliche Kurznachrichten von Jungs miteinander aus. Und Partyfotos.) Da immer zwei von ihnen dadurch verbunden
sind, dass sie gemeinsam ein Display bekichern, bilden sie eine geschlossene Mauer quer über den Bürgersteig. Auch sportliche Mädchen bewegen sich in diesem Zustand mit der Geschwindigkeit von neunzigjährigen Omas mit ihren Gehwagen. Tatsächlich hat einmal eine solche Oma mit schweren Einkaufstaschen nervös mit mir zusammen hinter einer Mädchengruppe auf eine Gelegenheit zum Überholen gewartet. Glücklicherweise sind japanische Omas schlagkräftiger als die nordkoreanische Armee. Sie rammte mit einem kurzen »’tschuldigung« ihren Gehwagen in die Gruppe und bahnte sich so mit roher Gewalt einen Durchgang. Ich folgte in ihrem Windschatten und schaffte es so, die Barriere zu durchdringen.
    Schulmädchen in ihren Uniformen sind deshalb der absolute Renner für Japans Fetischisten, weil sie die wichtigste Eigenschaft überhaupt zu bieten haben: Sie sind »kawaii«. Das bedeutet niedlich. Niedlichkeit ist alles in Japan. Für Frauen gilt: Sei niedlich oder stirb.
    »Nein, besser keine frittierten Hähnchenteile«, sagte Akiko. »Zu viele Kalorien.«
    »Du hast doch sonst nie Kalorien gezählt.«
    »Ja, aber in letzter Zeit …«
    »Ach komm, ihr Japanerinnen …«
    »Quatsch. Die meisten japanischen Frauen machen Dauerdiät und essen nur wie Vögelchen. Die haben Tricks.«
    Sie machte vor, wie die typische japanische Frau isst. Akiko schob ihre Handtasche hinter sich auf den Stuhl, so dass sie zierlich nur auf der vorderen Kante saß. Dann setzte sie sich sehr aufrecht hin.
    »Diese Sitzhaltung gilt als anmutig«, erklärte sie. »Die
Frauen nehmen ein Salatblatt und falten es ein paarmal …«, sagte Akiko. Sie legte ein kleines Blatt Kopfsalat mit den Stäbchen auf ihrem Tellerchen dreimal zusammen. »… was alles unheimlich Zeit braucht, und daher essen sie so langsam.«
    Zierlich schob sie sich das gefaltete Salatblatt mit den Stäbchenspitzen in den kaum geöffneten Mund. »Und jetzt erst das nächste Blatt. So halten sie sich ewig mit ein bisschen Salat auf und lassen die Männer das frittierte Huhn und die Hackfleischspieße aufessen.«
    Sie setzte sich wieder normal hin.
    »Warum machst du das nicht auch so?«, fragte ich.
    »Das fragt meine Mutter auch. Sie hätte lieber eine Tochter gehabt, die mehr kawaii ist.«
    Die japanischen Mütter erziehen ihre Töchter anscheinend systematisch dazu, niedlich zu sein. »Kawaii, nicht wahr?«, sagte eine Mutter zu ihrer kleinen Tochter, etwa vier Jahre alt. Im unterirdischen Einkaufszentrum in Ikebukuro standen die beiden vor einem Schaufenster mit pinkfarbenen Schühchen. Die Auslage war von roten Schnallen, Glitzersteinen und Schmuckperlen überschwemmt. Das Kind lachte und jubelte: »Kawaii!« So lernen die kleinen Japanerinnen: Niedlich ist durch und durch gut und als Charakterzug absolut wünschenswert.
    Das japanische Außenministerium war sich nicht zu schade, folgende Einladung zu verschicken:
    Um 14.30 am 26. Februar (Donnerstag) wird der Generaldirektor der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit eine Ernennungsurkunde an folgende drei Personen
übergeben, die insbesondere aus dem Feld der Mode und Popkultur stammen, um diese Personen in den Stand eines Trendkommunikators japanischer Popkultur zu erheben. Anders gesagt, sie werden »❤❤Kawaii Botschafter«.
    * Fräulein Misako Aoki: eine charismatische Figur, die sich im Lolita-Mädchen-Stil kleidet.
    * Fräulein Yu Kimura:

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