Tokio
die Eingänge der UBahnhöfe. Ich stieg einige Blocks von Fuyukis Wohnung entfernt aus dem Zug, zog meinen Mantel enger um mich und ging mit schnellen Schritten, wobei ich den rot-weißen Tokyo Tower als Wegweiser benutzte. Ich lief durch unbekannte Straßen voll von kleinen Restaurants und Nudelmachern, kam an einem Großhändler namens »Meat Rush« vorbei, verlangsamte mein Tempo und starrte die Kunden an, die riesige Fleischstücke in ihre großen Autos luden. Fleisch. Japan und China hatten Zeiten erlebt, in denen das einzige Protein, dessen sie habhaft werden konnten, von Seidenwurmkokons, Grashüpfern, Schlangen, Fröschen und Ratten stammte.
Fleisch, dachte ich, als ich an dem Eisengeländer vor Fuyukis Apartmenthaus stehen blieb. Fleisch. Eine der Garagen stand offen, und ein Mann in einem Overall polierte einen von Fuyukis großen schwarzen Wagen. Die Fenster waren geöffnet, der Schlüssel steckte in der Zündung, und aus dem Radio schallte ein Lied, das für meine Ohren wie ein Beatles-Song klang. Ein Gärtner spritzte den Weg mit einem Schlauch ab. Ich legte die Hand an das Geländer und schaute an der Fassade des Gebäudes hinauf zum Pent-house. Die Fenster waren verspiegelt und reflektierten nur den Himmel. Shi Chongming war davon überzeugt, dass das, worüber Fuyuki verfügte, sorgsam aufbewahrt werden musste. Besonders, wenn es gefährlich oder schwierig ist, Nachschub zu bekommen ...
Direkt gegenüber dem Apartmenthaus stand eine Telefonzelle. Ich ging hinüber und gesellte mich zu all den Fotos von japanischen Mädchen in Unterhöschen, die hinter dem Münzfernsprecher steckten, holte Fuyukis Meishi heraus und starrte eine Weile auf den Namen Winterbaum, bevor ich die Nummer wählte. Während ich wartete, kaute ich nervös an den Nägeln. Dann klickte es in der Leitung, und eine Computerstimme sagte auf Japanisch: »Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist zur Zeit leider nicht erreichbar. Bitte überprüfen Sie die Nummer und wählen Sie noch einmal.«
Drüben beim Apartmenthaus rollte der Gärtner gerade den
Schlauch auf. Das Wasser lief in die Blumenbeete, wo die Zierkohlköpfe mit einer Schnur zusammengebunden waren, damit sie über den Winter ihre Form behielten. Ich hängte den Hörer ein, steckte die Meishi in die Tasche und wandte mich zum Gehen. Heute war der Abend, an dem Mama Strawberry
ihre Getränke geliefert bekam. Da befand sie sich meist in guter Stimmung. Heute Abend würde ich sie noch einmal fragen, was sie gemeint hatte, als sie mich davor warnte, bei Fuyuki etwas zu essen.
Als ich Jason an jenem Abend im Klub wiedersah, kam es
mir beinahe so vor, als wäre nichts passiert. Ich überprüfte mein Make-up in dem Spiegel in der kleinen Garderobe, als er auf seinem Weg zur Bar stehen blieb und sagte: »Ich weiß, was du brauchst. Ich weiß schon, wie wir dich wieder in Stimmung bringen können.« Er deutete auf meinen Bauch und zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Du musst nur ein bisschen Frustration abbauen, mehr nicht. Uns wird schon was einfallen, wenn wir nach Hause kommen.« Als ich wieder allein war und mein Gesicht im Spiegel betrachtete, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass ich nichts empfand. Absolut nichts. Es ist schon beängstigend, wie schnell ich mich in mich selbst zurückziehen kann. Das macht die Übung, vermute ich.
Es war ein seltsamer Abend. Ich sprach nicht viel mit den Kunden, und einige der anderen Hostessen fragten mich, ob mit mir alles in Ordnung sei. Von Zeit zu Zeit, in einer Gesprächspause, bemerkte ich, dass Jason mich herausfordernd von der Bar aus anstarrte. Einmal hob er die Augenbraue und hauchte stumm etwas, das ich nicht verstand. Ich reagierte nicht.
Mama Strawberry sprach schon eine ganze Weile dem Tequila zu. Ich hatte sie aus dem Augenwinkel heraus beobachtet und gesehen, wie sie sich Zigaretten anzündete und sie dann vergaß, so dass sie im Aschenbecher herunterbrannten. Sie setzte sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Knie der Gäste und schwankte beim Gehen. Während einer Pause zwischen zwei Kunden ging ich zu ihr und nahm ihr
gegenüber am Schreibtisch Platz. »Strawberry«, begann ich,
»ich muss es wissen. Ich muss wissen, was für Geschichten Sie über Fuyuki gehört haben.«
»Ssscht!«, zischte sie und warf mir einen bösen Blick zu. Das Licht der Wolkenkratzer draußen fing sich in ihren blauen Kontaktlinsen und ließ sie wie Diamanten funkeln. »Du vergisst alles, was Strawberry sagt. Okay.
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