Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
erkannte ich einen Hund, vielleicht denselben, den wir zuvor gejagt hatten. Er tauchte aus dem Nichts auf und verhedderte sich zwischen den Beinen der Soldaten. Kläffend und winselnd ließ er sich von den Männern erbarmungslos treten, bis er schließlich vor einen Panzer taumelte, unter dem er augenblicklich verschwand. Zwei Soldaten in dem Geschützturm bemerkten dies und beugten sich lachend heraus, um das von den Panzerketten zermalmte Tier wieder auftauchen zu sehen. Ich bin kein großer Freund von Hunden, doch die Herzlosigkeit der Soldaten schnürte mir die Kehle zu.
    »Da«, murmelte ich, »schauen Sie sich das an, ehrwürdiger Liu.« Mir wurde allmählich bewusst, wie närrisch ich gewesen war anzunehmen, dass die Japaner uns irgendwie ähnlich wären, anzunehmen, dass wir vor ihnen sicher wären. Diese Männer hatten nicht das Geringste mit uns gemein. Ich ließ
    mich hinter die niedrige Brüstung sinken und vergrub mein Gesicht in den Händen. »Was für einen Fehler wir doch begangen haben. Was für einen schrecklichen Fehler.«
    Liu setzte sich neben mich und legte seine Hand sanft auf meinen Rücken. Ich war froh, dass er nichts sagte. Ich war froh, weil ich sonst als Antwort möglicherweise folgende Worte ausgesprochen hätte: Vielleicht nicht jetzt gleich, viel- leicht nicht heute Abend, aber das Ende wird bald kommen. Glaub mir, ehrwürdiger Liu, unsere Frauen hatten von Anfang an Recht. Wir werden schon bald alle sterben.
    30
    Auf dem Heimweg im Taxi saßen Jason und ich schweigend
    nebeneinander. Irina und Svetlana kicherten, rauchten und verfielen immer wieder ins Russische. Doch ich hörte sie nicht, spürte nur meine Haut, die kribbelte wie bei einem Tier, dessen Fell gegen den Strich gebürstet wurde. Ich rutschte auf dem Sitz hin und her, bis Irina ärgerlich wurde und mich in die Rippen knuffte. »Hör auf. Hör auf, dich zu winden wie ein Scheißwurm. Bist du jetzt verrückt?« Jason, der neben Irina saß, schüttelte amüsiert den Kopf. Er beugte sich vor, legte einen Finger auf die Nasenspitze und nickte, als ob jemand gerade eine Frage in sein Ohr geflüstert hätte.
    Als wir nach Hause kamen, gingen die Russinnen schnurstracks ins Bett. Ich zog meinen Mantel aus, hängte ihn neben Jasons Umhängetasche an einen der Garderobenhaken am Ende der Treppe und ging wortlos den Korridor entlang zu meinem Zimmer. Er folgte mir. Als er eintrat, konnte er sehen, wie nervös ich war. »Ich weiß, dass du Angst hast.«
    »Nein.« Ich rieb meine Arme. »Nein. Ich habe keine Angst.«
    Er muss sich gefragt haben, weshalb ich so durcheinander war - vielleicht dachte er in Richtung Kindesmiss-brauch oder Vergewaltigung. Ich zitterte so sehr, dass ich jedes Mal, wenn er mich berührte, tief durchatmen musste. Um mich zu beruhigen, versuchte ich, mir etwas Friedliches vorzustellen, etwas Dunkles und Schweres, das direkt unter meinen Rippen saß und mich aufrecht hielt. Doch
    Jason schien nichts davon zu bemerken, bis er mich rücklings gegen den Schminktisch gedrückt hatte, zwischen meinen gespreizten Beinen stand und mein Kleid bis zur Taille hochschob. Er starrte auf meine geröteten Schenkel, wie hypnotisiert von der Stelle, wo wir miteinander verschmelzen würden. Wo die dünne Haut meiner Innenschenkel die seine berührte, konnte ich seinen Herzschlag in den Schlagadern seines Unterleibs fühlen. »Das hier«, sagte er und schob seine Finger unter das Gummiband meiner Boxershorts, »zieh das aus.«
    »Nein.« Ich krallte meine Finger in den Bund, »Bitte.«
    »Ah«, sagte er leise, fasziniert, während er neugierig mein Gesicht betrachtete. »Ist es das? Habe ich es endlich herausgefunden?« Er schob abermals seine Finger unter das Gummiband. »Ist es das, was du verbirgst ...«
    » Nein!«Ich wich zurück, stieß dabei Sachen vom Schminktisch, die krachend auf dem Boden zersplitterten. »Bitte nicht. Bitte!«
    »Meine Güte«, entfuhr es ihm, beinahe so, als hätte ich ihm wehgetan. »Immer mit der Ruhe.« Er machte verdutzt einige Schritte zur Seite und stützte eine Hand auf den Schminktisch.
    »Scheiße, Spacko. Immer mit der Ruhe.«
    Ich sank zu Boden und vergrub mein Gesicht in den Händen.
    »Es tut mir Leid«, murmelte ich. »Es tut mir Leid. Bitte. Zieh sie mir nicht aus.«
    Zuerst antwortete er nicht, und lange war nur mein Herzschlag zu hören. Ich wünschte, ich könnte es ihm erzählen. Ich wünschte, dass alles anders wäre. Schließlich kam er mit seinem Mund ganz nah an meinen Hals

Weitere Kostenlose Bücher