Tolle Maenner
diejenige, die dringend einen Haarschnitt bräuchte. Dafür hab ich bei dir echt was gut.« Sie trat zurück und lehnte sich gegen die Konsole. Dann näherte sich Stefan, der wie eine Kreuzung aus Edward mit den Scherenhänden und Riverdance wirkte. Er schnippte mit der Schere, stampfte mit den Füßen und sprang herum. Jon fragte sich schon, ob es nicht gefährlich war, dass Stefan mit der Schere so dicht vor seinen Augen herumfuhrwerkte, sagte sich dann aber, dass der Friseur vermutlich wusste, was er tat. Schließlich schaute Tracie seinem Treiben seelenruhig zu und merkte offenbar nicht einmal, dass es hier weder Spiegel noch Lärm noch Menschen gab – nur Stefan und seinen schweren Atem und sein verrücktes Herumgehüpfe. Es war die schrägste Friseursitzung, die Jon je erlebt hatte.
Jon saß fast eine Stunde lang bei dem Mann, den er kurz zuvor beleidigt hatte. Tracie, die offenbar nicht einmal merkte, in welch schrecklicher Gefahr er schwebte, kauerte derweil auf einem winzigen Hocker zu seinen Füßen und schwatzte fröhlich drauflos. Jon wollte nur noch aus dem Sessel aufspringen und aus dem Raum stürzen, vorbei an der fatalen Ellen, der Frau dieses balkanischen Verrückten, und vielleicht sogar Seattle für immer verlassen. Aber er wagte es nicht, sich zu rühren, solange ihm diese höllisch scharfe Schere um den Kopf schnippte.
»... und das Fahrrad«, hörte er Tracie sagen. Wovon redete sie überhaupt?
Da er Angst hatte, Tracie den Kopf zuzuwenden, richtete er
nur den Blick auf sie. Es tat weh, die Augäpfel über längere Zeit in die Augenwinkel zu zwingen. »Was ist mit meinem Fahrrad?«, fragte er. Er hätte zu gern mal seine Haare berührt, war aber sicher, dass Stefan ihm dann einen Finger abschneiden würde. Seit einiger Zeit schon flogen kleine Haarbüschel durch den Raum.
»Ich sagte, wir müssen noch was wegen deinem Rucksack und dem Fahrrad unternehmen«, wiederholte Tracie ruhig.
»Was ist mit meinem Rucksack?«, fragte er. »Und gegen mein Fahrrad ist absolut nichts einzuwenden. Was soll das heißen, wir müssten etwas unternehmen wegen meinem Fahrrad?«
»Ein Fahrrad ist einfach total uncool«, erklärte Tracie. »Wie willst du beispielsweise ein Mädel in deine Wohnung mitnehmen? Willst du sie vielleicht auf den Lenker setzen?«
»Ich dachte, ich soll sowieso keine in meine Wohnung lassen«, erinnerte er sie an ihre eigenen Lehren.
»Okay, okay. Also: Wie willst du sie zu ihrer Wohnung bringen?«
Mussten sie das ausgerechnet jetzt besprechen – und ausgerechnet im Beisein von Stefan?
»In ihrem Wagen?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Und wie kommst du von da nach Hause?« Sie schüttelte den Kopf. »Weißt du, ich glaube, wenn du kein Schwinn-Fahrrad hättest, würdest du einen Pacer fahren.« Jon wusste nicht genau, was ein Pacer war, aber etwas Gutes konnte es kaum sein, weil Stefan lachte. »Ein Date ohne Auto ist kaum möglich.«
»Wir könnten doch ihres nehmen«, wiederholte er. Allmählich sah er die Probleme ein, aber er schlug sich trotzdem wacker. »Oder vielleicht ein Taxi rufen?«, fragte er lahm – er wusste, dass dies kein genialer Zug war. Er hörte ein leises, verächtliches Schnauben hinter sich und wünschte sich einen ganz kurzen Augenblick derjenige zu sein, der diese verdammte Schere in der Hand hielt. »Hör mal, du weißt doch, wie ich darüber denke. Ein Fahrrad ist sicher, praktisch und ökologisch unbedenklich. Wenn ich mit dem Rad fahre, kann ich auf nicht erneuerbare fossile Energien verzichten und komme trotzdem dorthin, wo ich will.«
»Aber du kommst nirgendwo hin. Jedenfalls nicht bei den Frauen«, sagte Stefan, der zum ersten Mal den Mund aufmachte.
Jon versuchte, nicht mit den Zähnen zu knirschen. Immer wenn er Denn sie wissen nicht, was sie tun oder Jenseits von Eden gesehen hatte, war ihm aufgefallen, wie sich James Deans Gebiss verkrampfte, wenn er wütend war. Um keinen Preis wollte er diesem dämonischen Barbier zum Opfer fallen. Stefan würde ihm, ohne zu zögern, die Halsschlagader durchtrennen. Jon beschloss, ihn einfach zu ignorieren. »Willst du mir weismachen, dass ich mir ein Auto kaufen muss, um an Frauen zu kommen?«, fragte er entrüstet. Tracie wusste, was für ein eingefleischter Autogegner er war. All die vielen Blechkisten zerstörten doch den pazifischen Nordwesten und machten der ganzen Umwelt die Hölle heiß. Wie konnte sie bloß so etwas vorschlagen?
»Wie wär’s dann, wenn du doch noch mal über ein Motorrad
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