Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
musste sie den Mut dazu aufbringen.
Doch nun war es Zeit, die Zäpfchen aus der Form zu lösen und diese wieder neu zu befüllen.
Als sie endlich mit allem fertig war, schlich sie ein weiteres Mal in die Bibliothek, um das ausgeliehene Buch zurückzustellen. Einen derart großen Band heimlich im Labor zu behalten, erschien ihr zu unvorsichtig. Sie nutzte die Gelegenheit und suchte noch ein wenig zwischen den Büchern herum. Sie brauchte eines, das unterhaltsam war und in das Loch ihrer Strohmatratze passte, falls Gustav eine seiner unangekündigten Kontrollen plante.
Sie zog mehrere heraus, blätterte in ihnen und wählte schließlich wieder das Einzige mit einer Liebesgeschichte, auch wenn sie diese längst auswendig herunterzubeten vermochte.
Früher waren Erzählungen über künstlich erschaffene Wesen mehr nach ihrem Geschmack gewesen, doch nun bedauerte sie, dass Gustav romantischen Geschichten nichts abgewann. Welchem glücklichen Zufall sie wohl dies eine Exemplar verdankte? Vermutlich ahnte er schlicht nichts von der Existenz des Buches.
Das Bild auf dem Umschlag zeigte den Helden, wie er seiner Liebsten gegenüberstand. Eine seiner Hände ruhte auf ihrem Oberarm, die andere hakte er lässig in seinen Gürtel ein. Mit den zurückgebundenen Haaren wirkte er so verwegen wie ein Luftpirat oder Seemann. Dem entrückten Gesichtsausdruck der Frau nach empfand sie diesen Augenblick als zauberhaft. Kate schloss die Augen.
Fühlte es sich so an, von einem Mann geliebt zu werden?
Die einzigen männlichen Wesen, auf die sie traf, waren Gustav und der Hausmeister. Sich einen der beiden als Verehrer vorzustellen, war ihr unmöglich. Sie prustete los und steigerte sich immer mehr in diesen bizarren Gedanken hinein, bis ihr die Lachtränen herunterliefen. Schließlich wischte sie das Gesicht ab und legte das Buch in die Schürzentasche.
Auf dem Weg zur Tür kam sie an dem Tischchen vorbei, auf dem Gustav Bücher ablegte, die er zu lesen plante. Die heutige Zeitung lag dort. Das neue Mädchen musste sie anstatt in seine Wohnräume irrtümlich hierher gebracht haben.
Neugierig überflog Kate die erste Seite. Gustav erlaubte ihr selten einen Blick auf den Waterlon Anzeiger. Wenn, gab er ihr ausgewählte, einzelne Artikel des Blattes zu lesen, die fast nur von naturwissenschaftlichen Themen handelten. Einmal hatte sie ihn gefragt, ob sie nicht die alten Ausgaben bekommen könnte, um ihre Allgemeinbildung zu verbessern.
Er hatte sie nur angesehen und gesagt: »Was außerhalb dieses Hauses geschieht, ist für dich nur von Interesse, sofern es deiner Arbeit dient.«
Dann hatte er das Labor auf Sauberkeit kontrolliert. Diesmal an den verstecktesten Stellen, und sie danach in jeder Hinsicht für faul und nachlässig erklärt. Ihre Hände erinnerten sich noch gut an die folgende Bestrafung. Gustav nach Dingen zu befragen, die ihm missfielen, war eine gefährliche Angelegenheit.
Auf der Titelseite war ein kleines Foto abgedruckt. Als sie genauer hinsah, erkannte sie den abgebildeten Herrn. Der Mann bei Madame.
Bruce.
Die Bildunterschrift lautete:
In großer Trauer nahm Sir Bruce Attenburg Abschied von seiner geliebten Gattin
.
Seite vier
stand dahinter.
Sie presste die Hand vor den Mund.
Die Eisenhutsalbe, die Madame sie hatte herstellen lassen. Bei dem Gedanken, unter Umständen einen Menschen getötet zu haben, wenn auch unfreiwillig, wurde ihr übel.
Mit zitternden Fingern versuchte sie, die vierte und fünfte Zeitungsseite voneinander zu trennen, doch sie hafteten an den Schnittkanten zusammen. Sie seufzte. Auf diese Weise erfuhr sie nichts mehr über den Tod der Frau.
Das Blatt ganz aufzuschlagen, wagte sie nicht. Falls Gustav bemerkte, dass jemand darin gelesen hatte, brauchte er nicht lange, um sie als Schuldige herauszufinden. Sie drehte die Zeitung um und betrachtete die Rückseite. Ein weiteres Foto. Eine vornehme Dame und ein junges Mädchen. Mit einem Aufschrei ließ sie die Zeitung fallen, als hätte sie sich an ihr verbrannt.
Die Person, die sie anlächelte, war Madame, obgleich anders gekleidet und mit einem strengen Dutt. Dazu trug sie einen schlichten weißen Hut, den Kate bisher nie bei ihr gesehen hatte.
Die eiskalten Augen verrieten sie ebenso wie das falsche Lächeln.
Kate las auch diese Bildunterschrift. Sie war deutlich länger als bei dem Bild auf der ersten Seite: D
ie reizende Lady Ballingham besuchte mit ihrer entzückenden Patentochter Elise das diesjährige Winterspektakel. Das
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