Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
am Schwanz und schlug es an die Ziegelwand, dass es klatschte.
»Schön fett. Die bringt bestimmt drei Kupfermünzen. Lecker«, erklärte er und schüttelte den Kadaver hin und her.
»Ihr esst Ratten?«, rief Kate entsetzt.
»Wir nicht, aber andere.« Er grinste. »Die schmecken prima in einer Fleischpastete; so gut wie Katze und Hund.«
Kate unterdrückte ein Stöhnen. Das Leben außerhalb des Hauses verlief offensichtlich nach Gesetzen, die ihr fremd waren.
Simon band das tote Tier am Bindestrick seiner Hose an. Aus der zerschmetterten Schnauze sickerte Blut.
Seine Frage lenkte sie von dem abscheulichen Anblick ab: »Wo hat sie dich her, deine Madame? Aus ’nem Waisenhaus oder vom Land?«
»Sie sagt, ich sei ein Armenhäusler, eine Waise oder ein Findelkind. Ich habe erst bei einer Frau gelebt, die sich um solche Kinder kümmert. Der hat sie mich abgekauft. Da wäre ich viel lieber geblieben, als für Madame zu arbeiten.«
»Hört sich kein bisschen nach dem Armenhaus an, das wir kennen. Was, Charlie? Die Lady hier war wohl in ’ner Art Paradies, was?«, spottete Justin.
Kate zuckte die Schultern und fühlte sich wieder hilflos und dumm.
Erstaunlicherweise machte Charlie diesmal keine schneidende Bemerkung über sie. Nun, da sie ihn besser beobachten konnte, fiel ihr auf, dass er trotz seiner Größe und der tiefen Männerstimme kaum viel älter als sie sein mochte.
»Armenhaus«, knurrte er. »Den ganzen Tag arbeiten. Schläge. Der Brei voll Käfer und Dreck. Das Brot schimmelig. Wir sind beide abgehauen, sobald wir laufen konnten. Hast mehr Glück gehabt, wenn sie dich woanders untergebracht haben.«
Lautes Krachen ließ Kate herumfahren. Sie umklammerte dabei den Sack, als könnte er ihr Schutz geben.
»Nur eine Luke. Da hinten steigt öfter jemand runter. Hierher kommen die nicht. Ist unser Bereich, weiß jeder«, beruhigte Simon sie. »Weiter. Wir sind bald da.«
Kate hoffte es. Die Arme schmerzten fast so sehr wie ihre Füße, die sich in den Holzpantoffeln wund gescheuert hatten.
Sie wischte sich das Gesicht am Jackenärmel ab und flehte, dass dieser nicht schmutzig davon wurde. Zur Not musste sie heute Nacht einen Waschtag einlegen und versuchen, die Wolljacke bis zum nächsten Tag wieder halbwegs trocken zu bekommen. Sie besaß nur die eine. Trug sie keine, würde Gustav den Grund wissen wollen. Wenigstens hatten die Schnitte zu bluten aufgehört, und sie konnte das Taschentuch einstecken.
Endlich hielten sie an. Simon schlug mit der Spitze seines Stocks an die Decke. Es klang, als würde Metall auf Metall treffen. Knarrend öffnete sich eine Luke über ihnen. Gleich darauf riss Charlie Kate mit einem Fluch zur Seite. Nur einen Moment später krachte eine Leiter herunter und landete nur ein kurzes Stück entfernt von der Stelle, an der sie gestanden hatte. Vor Schreck fiel ihr fast der Sack aus der Hand.
Simon spottete: »Mach keinen Aufstand, Charlie. Ihr wäre schon nichts geschehen.«
Charlie funkelte sie nur wortlos an, als wäre alles ihre Schuld. Verunsichert hielt Kate den Mund und zwang sich zu einem Lächeln.
Simon schenkte ihr keine Beachtung und rief stattdessen hoch: »Die Aussicht?«
Eine Männerstimme antwortete: »Keinerlei Nebel.«
Nacheinander schlugen zwei Seilenden auf den Boden auf. Die jungen Burschen knüpften die mitgebrachten Säcke daran fest. Kate gab ihren ebenfalls ab, dankbar, das Gewicht loszuwerden.
»Die Lampen bleiben hier. Auf dem Rückweg zünden wir sie wieder an«, erklärte ihr Charlie und schob sie in Richtung der Leiter.
Mit Erleichterung registrierte sie, dass die Holzschuhe auf den ungehobelten Sprossen nicht abrutschten. Obwohl Charlie dadurch auf sie warten musste, kletterte sie langsam und vorsichtig hoch. Nur keinen Sturz riskieren. Oben erwartete sie Halbdunkel. Das wenige Licht fiel durch vergitterte Fenster, deren Scheiben weiß getüncht waren. Allerlei Gerümpel und übereinandergestapelte Kisten lagen in wildem Durcheinander herum, als hätte ein Riese sie verstreut. Ein Lagerraum, der dringend aufgeräumt gehörte. Kates Blick blieb an einem kleingewachsenen Mann in zerlumpter Kleidung hängen, der gerade unter Keuchen den letzten Sack hochzog.
Sie beugte sich vor, um ihm zu helfen, doch Simon packte sie am Ärmel.
»Unsere Arbeit ist gemacht. Nun trinken wir das versprochene Bier.«
Der Fremde blickte zu ihr hoch, spuckte aus und brummte:
»Was hat die denn hier zu suchen?«
»Halt die Klappe, Zwerg«, fauchte Simon.
Bevor
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