Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
die diesem Charlie gerade aufgetragen hatte, sie zu töten.
Kate verstand nicht, worüber er redete. Sie schluckte ihre Panik hinunter und versuchte es mit der Wahrheit.
»Ich wollte mir nur die Gänge hier ansehen. Sonst nichts. Ich schwöre. Ich wusste nicht, dass die Strecke jemand gehört. Ehrlich.«
Der andere Kerl rotzte ein weiteres Mal und sagte: »Weiß jeder Dummkopf, ist verdammt noch mal unser Bereich.«
Der Druck des Messers verstärkte sich. »Bist also entweder eine Idiotin oder eine Lügnerin?«, knurrte der Mann hinter ihr.
Kate überlegte nicht lange. »Eine Idiotin.«
Als Reaktion ließ er ihre Haare los und nahm das Messer weg. Sie griff sich an den Hals. Die Haut dort fühlte sich unverletzt an. An der Stelle jedoch, an der sie von oben auf die Klinge gefasst hatte, bluteten die Finger und brannten.
Endlich erkannte sie ihre Angreifer besser, denn sie hatten zwei weitere Lampen angezündet. Der mit dem Messer in der Hand war ein ganzes Stück größer und breiter als sie. So vorgebeugt, wie er dastand, ähnelte er den Gorillas aus Gustavs Buch über wilde Tiere. Sein Kopf war kahl geschoren und mit Tätowierungen geschmückt. Verwachsenes Narbengewebe füllte die linke Augenhöhle, ein scheußlicher Anblick. Mit dem verbliebenen Auge funkelte er sie an, als täte es ihm leid, sie losgelassen zu haben.
Der Zweite mochte in etwa in ihrem Alter sein. Immer wieder rutschte ihm der Hut ins Gesicht und er schob ihn zurück. Seine Nase wirkte, als hätte man sie in Stücke gebrochen und falsch zusammengesetzt. Der Dritte und Kleinste musterte sie eher abwägend als feindselig. Wie die anderen trug er eine dunkle Jacke und eine ebenso dunkle Hose, dazu derbe Stiefel. In der Hand hielt er einen Stock mit einer gefährlich aussehenden Metallspitze.
Damit deutete er nun auf sie und verlangte: »Also, erkläre Justin, Charlie und mir, wer genau du bist und was du hier treibst.«
Kate räusperte sich und stieß abgehackt hervor: »Ich bin Kate, arbeite für Madame, gehöre ihr.«
Vor Angst bekam sie kaum Luft. Sie machte eine Pause und setzte dann hinzu: »Da hinten ist ihr Haus. Sie lässt mich nie raus. Ich wollte mich nur kurz umsehen, das schwöre ich. Dass das verboten ist, wusste ich doch nicht.«
Er sah sie an, als hätte sie ihn überrascht.
»Du wohnst bei der? Madame? Du lügst mich nicht etwa an? Ich müsste dich dann von Charlie aufschlitzen lassen.«
Sie nickte. »Ehrlich. Seit ich sechs bin.«
Er verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln und fragte: »Die lässt dich echt nie raus? Warum?«
Kate zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Weil sie gemein ist?«
Der mit der seltsamen Nase musste wohl Justin sein. Er beugte sich zu dem Jugendlichen hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Daraufhin stieß dieser einen Pfiff aus und sagte zu seinen Freunden: »Da haben wir uns wohl getäuscht. Die kommt mir harmlos vor und könnte sich als nützlich erweisen.« An Kate gewandt fuhr er fort: »Wir wollten dich nicht erschrecken, Lady.«
Er deutete auf die Schnittwunden an der Hand. »Das verbindest du besser.«
Kate zog ihr Taschentuch aus der Jacke und wickelte es um die Finger.
Sein Lächeln wurde breiter. »Du verdienst eine Entschädigung. Wir geben dir ein heißes Bier aus.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann unmöglich mitkommen. Madame bringt mich um, wenn sie merkt, dass ich weg war.«
Er lachte schallend, als hätte sie einen Scherz gemacht.
»Bevor die was bemerkt, bist du längst wieder zurück. Vertrau mir.«
Er streckte ihr die schmutzstarrende Hand hin.
»Ich bin Simon und wir sind nun Freunde. Brauchst keine Angst zu haben, dass dir was passiert. Freunden vertraut man, nicht wahr?«
Er deutete eine Verbeugung an und befahl seinen Begleitern: »Gebt ihr die Hand. Kate gehört ab jetzt zu uns und steht unter meinem Schutz. Niemand packt sie an.«
Den beiden Burschen hätte es keine Probleme bereitet, ihre zarten Finger zu Mus zu zerquetschen. Im Halbdunkel des Tunnels sahen ihre gewaltigen Pranken fast schwarz aus und die Gesichter waren verschmiert, als hätten sie sich in Kohlestaub gewälzt. Kate schüttelte sich bei dem Gedanken, jemals so dreckig zu sein.
Unbeholfen versuchte sie, Simons Einladung abzulehnen, aber er ließ sich nicht darauf ein.
»Freunde trinken gemeinsam«, behauptete er und hieb ihr derb auf die Schulter.
»Du bist hoffentlich keins von den Weibern, die nichts mit uns ehrlichen Leuten zu tun haben wollen?«, fragte er und
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