Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
zwischen den Fingern hervor und tropfte zu Boden. Wie aufgescheuchte Hühner wichen die Umstehenden zurück, als fürchteten sie, ebenfalls verprügelt zu werden. Unberührt von allem zog der Schläger einen kurzen Knüppel aus dem Hosenbund und hieb damit auf den Rücken der Frau ein. Wieder und wieder schlug er zu, systematisch, als wolle er keine Stelle auslassen.
Starr vor Entsetzen stand Kate da. Vergeblich wartete sie, dass endlich jemand einschritt und diesen Alptraum beendete. Sie wollte nach dem Boss der jungen Männer rufen, doch Charlie drückte ihr seine Pranke auf den Mund. Er zerrte sie mit sich, bis vor die Tür. Dort erst gab er sie frei und knurrte: »In keine Schlägerei einmischen. Niemals Rufus auf sich aufmerksam machen. Sonst ergeht es dir schlimmer als dem Weibsstück da drinnen.«
Simon, der ihnen mit Justin gefolgt war, nickte.
»Ein bösartiger Kerl. Gefährlicher als ein tollwütiger Hund. Halt dich fern von ihm. Liefer dem bloß keinen Grund für eine Abreibung.« Grinsend setzte er hinzu: »Die Alte hat es bestimmt auch nicht anders verdient. Doch nun lass uns feiern und lächle wieder. Steht dir besser.«
Kate fühlte sich nicht danach. Das Leben in Freiheit verwirrte sie, obwohl sie sich froh schätzte, Freunde gefunden zu haben, die sie beschützten und ihr alles erklärten.
Vom Himmel sanken Schneeflocken herab. Kate bewunderte kurz die filigranen Kunstwerke, die sich auf dem Ärmel sammelten, doch Justin forderte sie auf: »Komm endlich!«
Sie passierten mehrere Marktbuden. Schließlich blieb Simon vor einer stehen, warf eine Münze auf das zerkratzte Holzbrett, das als Thekenersatz diente, und bestellte vier heiße Biere. Einen der verbeulten Metallbecher drückte er Kate in die Hand. Das Gefäß wärmte ihre steifgefrorenen Finger, nur ekelte sie der außen anklebende Schmutz. Vom Abwaschen hielt man hier offenbar nicht viel. Ihre neuen Freunde bemerkten weder den Dreck noch ihren Abscheu darüber, prosteten sich zu und nahmen einen Schluck. Hatte Gustavs Reinlichkeitswahn auf sie abgefärbt? Endlich schloss sie die Augen und machte es den jungen Männern nach. Sie schüttelte sich. Für diesen bitteren Geschmack zahlte man Geld? Wenigstens war es warm. Sie trank mehr davon. Je eher sie das Gebräu geleert hatte, desto besser.
»Ich wette, du bist nicht an Bier gewöhnt. Schütte es nicht so schnell runter. Kannst es auch stehen lassen«, raunzte ihr Charlie ins Ohr.
»Halts Maul. Gönnst es ihr wohl nicht!«, herrschte Simon ihn an und hob seinen Becher. »Auf Kate! Endlich mal ein hübsches Mädchen, das weiß, was gut für sie ist.«
Justin nickte ihr zu und fiel mit ein: »Auf die kluge Kate.«
Geschmeichelt nahm sie einen weiteren Schluck. Diesmal schmeckte es nicht ganz so übel. Milch fand sie auf jeden Fall schlimmer. Wenn Gustav sie nur sehen könnte! Sie kicherte. Nur an den Miesepeter zu denken, amüsierte sie königlich. Simon musterte sie lächelnd und sagte: »Erzähl von dem Leben im Haus. Außer dir und Madame, wer wohnt noch alles da?«
Kate musste aufstoßen. Nachdenken strengte an.
Schließlich entschied sie, einfach zu schildern, was sie wusste.
Simon hing förmlich an ihren Lippen, als interessiere ihn jede Kleinigkeit. Einige Male fragte er nach. Wo sie schliefe und wo Gustav. Ob sie häufig Besuch bekämen, welche Hausangestellten wo wohnten und wer wann seinen freien Nachmittag habe.
»Am Samstag bin ich allein«, erklärte sie und wunderte sich, wie schwer ihr das Sprechen fiel.
Charlie zappelte hin und her, sodass Simon ihm einen Schubs gab und wissen wollte, ob er verschwinden müsse.
Als Antwort fuhr der sich über die Glatze und murrte: »Raushalten sollten wir uns. Rufus. Der Kerl arbeitet angeblich oft für die Alte. Denen in die Quere kommen, nee. Verdammt gefährlich.«
Simon fauchte: »Klappe!«, und knallte den Becher auf die speckige Holzplanke.
Charlie zuckte zusammen. Zum Glück hielt Simons Wutausbruch nicht an. Ruhiger gab er Charlie einen Klaps auf die Schulter, als wollte er sich für den Ausbruch entschuldigen. Lächelnd wandte er sich Kate zu und bot ihr an, noch ein Bier für sie zu kaufen. Sie lehnte dankend ab. Bis auf die Kälte, die ihre Zehen langsam in gefühllose Eisklumpen verwandelte, fühlte sie sich wunderbar.
Wie genoss sie es, sich umsehen zu können! Die Menschen, das Gewimmel, Hunde, ab und zu Lachen und Geschrei. Wie sie das alles vermisst hatte!
In Madames Haus herrschten Schweigen und ewiges
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