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Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Titel: Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. G. Stoll
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Wieso kam sie dann nicht? Kate sehnte sich nach einem Gesicht, selbst wenn es ihrer Peinigerin gehörte.
    Vielleicht geschah ein Wunder, und Madame erbarmte sich ihrer.
    Kate summte, um die schrillen Stimmen zu übertönen. Ununterbrochen redeten die auf sie ein, doch sie wollte ihnen nicht länger zuhören. Der Durst, die Schmerzen. Die Augen fielen ihr zu. Diesmal gab sie auf.
    So müde. Sie rutschte vom Hocker. Der Platz fehlte, ihn neben sich zu lagern. Die Beine spürten das Gewicht kaum. Klein zusammengekrümmt lag sie da, den Kopf an die eine Wand gepresst, die Knie an der anderen. Der Boden fühlte sich modrig feucht an, kalt. Egal.
    War mit dem Tod alles vorbei? Gustav vertrat diese Ansicht. Wenn nicht, würde sie an dem neuen Ort ein weiteres Mal einsam und allein gelassen sein, wie jetzt?
    Sie hungerte so sehr nach einem Menschen, der sich für ihr Schicksal interessierte, vielleicht sogar liebte.
    Sie fiel in eine Art Traumzustand. Die Stimmen bekamen Gesichter. Monströse Kreaturen lachten sie aus, schrien, flüsterten ihr unverständliche Geheimnisse ins Ohr. Dann wieder hielten sie ihr einen völlig irren Vortrag über Siedepunkte verschiedener Flüssigkeiten, um sie im nächsten Moment mit weit aufgerissenen Schnauzen zu erschrecken.
    Kate verhielt sich ganz still.
    Eine Bewegung, ein Laut, und die Ungeheuer würden sich auf sie stürzen, zerrissen sie mit ihren Klauen und scharf zugefeilten Reißzähnen. Das spürte sie.
     
    »Halte durch, Kind.«
    Kate schreckte hoch. Sie vermisste das Gewicht des Hockers.
    Der Duft von frischem Brot stieg ihr in die Nase. Neben den Stimmen folterte ihr Verstand sie nun zusätzlich auf diese Weise.
    Der Geruch nahm nicht ab und befeuerte ihre Fantasie, ließ sie von köstlichem Essen träumen.
    Sie tastete umher, nutzte die unverletzte Linke. Ihre Nägel kratzten über etwas Hartes. Der Form nach handelte es sich um ein eckiges Gefäß, vermutlich einen Blechkanister. Sie fand einen Griff und schüttelte ihn. Es klang, als wäre Flüssigkeit darin. Mit zitternden Fingern suchte sie nach dem Verschluss. Sie schraubte ihn ab, benetzte den Zeigefinger mit dem Nass und roch daran. Nichts Auffälliges. Trotz der Schmerzen gebrauchte sie auch die zerschlagene Hand und hob den Behälter an. Gierig presste sie den Mund an die Öffnung. Gleichzeitig murmelte eine Stimme in ihrem Kopf, sie dürfe Madames Hang zur Grausamkeit nicht vergessen. Sie traute ihr zu, dass sie ihr Säure oder Lauge zu trinken gab. Nichts, was sich durch den Geruch verriet.
    Kurz zögerte sie, dann siegten der Durst und vielleicht irgendwo die Aussicht, diese Folter zu beenden. Nach dem ersten Schluck gab es kein Halten mehr. Sie schüttete die Flüssigkeit in sich hinein, ignorierte die Schmerzen und das Brennen ihrer misshandelten Kehle.
    Sie trank, bis sie zu würgen begann.
    Obschon es weder seifig noch ätzend schmeckte, konnte es vergiftet sein, fuhr ihr verspätet durch den Kopf. Sie verharrte bewegungslos, wartete. Der Magen beruhigte sich, keine Krämpfe, keine zusätzlichen Qualen. Kein Gift.
    Der verführerische Duft. Sie tastete wieder umher und fand die Ursache. Frisches Brot. Weich und köstlich. Zuerst schlang sie die Bissen in einem Stück herunter, zwang sich dann zu kauen. Das Denken ging leichter. Wer hatte ihr Wasser und Brot gebracht?
    Verzweiflung überrollte sie, ließ sie aufstöhnen, als ihr die Antwort kam: Madame.
    Das passte zu ihr. Auf diese Weise zögerte sie Kates Tod hinaus. Die Frau konnte sie für lange, lange Zeit in diesem Raum einsperren. Ihr ab und an Wasser und Essen bringen und sich an ihren Qualen ergötzen. Jahre.
    Kate weinte.
    So dumm von ihr zu trinken, so dumm.
    Ein bisschen Mut und sie würde den Kanister ausgießen.
    Sie brachte es nicht über sich.

18. Gustav
    Ab und zu träufelte sie Wasser auf die Schwellungen an den Fingerknöcheln. Die Verdunstungskälte half ein wenig gegen die bohrenden Schmerzen.
    Der Raum bedrohte sie nun nicht länger, war wie ein alter Bekannter geworden.
    Kate wartete, schlief und fantasierte wirres Zeug von einem Flugschiff, das abstürzte. Einer gewaltigen Fackel gleich schlug es im Dschungel ein, die feurige Hülle von den haushohen Baumwipfeln zerfetzt. Sie befand sich an Bord, sprang aus einem Loch in der Gondel und landete auf einem Ast. Ein schnatternder Affe hangelte sich neben sie und spottete: »Törichtes Mädchen.«
    Sie träumte weiter. Von gigantischen Bergen, auf denen ewiger Schnee lag. Zusammengekrümmt

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