Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
gegenseitig.
Nun hieß es, bloß nicht zwischen die Fronten zu geraten.
Schritte kamen auf sie zu. Ihr Herz raste. Weglaufen. Fliehen. In die Kanalisation verschwinden. Sich in einem Schrank verstecken. All diese Dinge schossen ihr durch den Kopf. Zu spät, denn sie blickte in die Mündung einer Pistole.
16. Begegnungen
»Du? Wo hast du die Klamotten her und was ist mit deinen Haaren?«, herrschte der Mann mit der Waffe sie an. Er packte sie an der Schulter und krallte die Finger so tief in ihre Haut, dass sie aufschrie.
Dann schüttelte er sie und überzog sie mit einer Litanei übelster Beschimpfungen, von denen sie nur die Hälfte verstand. Endlich ließ er los, nur um jetzt an ihren Haaren zu zerren.
»Mach keinen Ärger, habe ich dir gesagt«, brüllte er. »Haust du ab, schneide ich dir die Kehle durch, habe ich gesagt. Dachtest du, ich scherze, Lady?«
»Ich kenne Sie doch überhaupt nicht!«, stieß sie hervor. Gleichzeitig dämmerte ihr, wie sehr sie sich irrte. Sie hatte ihn bereits gesehen, auf der Straße. Als er mit Madame gesprochen hatte. Vorher hatte er die Frau in der Kneipe verprügelt, und die jungen Burschen hatten sie vor ihm gewarnt.
Rufus
.
Nun begriff sie auch, weshalb Simon vor ihm geflohen war. Rufus arbeitete für Madame und nicht für seinen Boss. Die Jungen hatten Angst vor ihm.
»Ich wusste nichts von dem Raub«, beschwor sie ihn. »Lassen Sie mich los. Madame merkt auch nichts davon, ich verspreche es. Ich bringe alles in Ordnung.«
Er ignorierte ihr Flehen. Mit einem weiteren derben Fluch steckte er die Pistole weg und zerrte sie mit sich, den Flur entlang.
Jetzt befanden sie sich wieder in dem Bereich, den Kate nie betrat, weil sie sonst Madames Wohnbereich hätte passieren müssen, um dorthin zu gelangen.
Am Ende des dunklen Ganges blieb er stehen. Als sich die Tür vor ihm nicht öffnen ließ, warf er Kate einen bitterbösen Blick zu.
»Wie hast du das gemacht? Mach’s Maul auf! Ich prügle den Mist sowieso aus dir raus.«
Sie schüttelte den Kopf zu verstört, um antworten zu können.
Wovon redete er nur?
Er schob sie an die Wand und zog einen Schlüssel aus der Tasche. Damit schloss er auf und schubste sie durch die Türöffnung in das Halbdunkel.
Die verbrauchte Luft roch schweißgeschwängert und staubig. Der Raum war leer, bis auf eine zusammengesunkene Gestalt, die in der hinteren Ecke auf einer Matratze am Boden hockte. Stricke an Händen und Füßen machten es ihr unmöglich aufzustehen. Ein Tuch verdeckte die Augen und der schmerzhaft aussehende Knebel verhinderte, dass sie mehr als ein Stöhnen zustande brachte. Von dem Lärm aufgeschreckt zappelte die Person hilflos herum. Kate erkannte einen Mantel mit Pelzbesatz, Rüschen, zierliche Stiefel und einen vornehmen Hut, der neben ihr lag. Eine Lady?
Wieso hielt Rufus eine Dame in Madames Haus gefangen? Kate verstand das alles nicht. Sie steckte in einem üblen Traum und wachte gleich in ihrem Bett auf, das war die einzige Erklärung.
Stattdessen schleuderte Rufus sie hart gegen die Mauer hinter der Tür. Vom Aufprall blieb ihr die Luft weg.
»Wer zum Teufel bist du? Siehst ihr verdammt ähnlich.«
Rufus drückte ihr das Kinn hoch und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Aus der Nähe stank er nach ranzigem Schweiß und ungewaschenen Kleidern.
»Gehörst tatsächlich zu Madame, was?«, fragte er und pustete ihr dabei seinen fauligen Atem entgegen.
»Ja«, gab Kate zur Antwort und schluckte gegen Panik und Übelkeit an. Ihr Kopf arbeitete weiterhin auf Sparflamme. Sie verstand seine Aufregung nicht. Allerdings begriff sie, dass er zornig auf sie war, und sie sich in Lebensgefahr befand.
Der Gefangenen musste es gelungen sein, den Knebel zu lockern, denn mit hoher Stimme flehte sie: »Lassen Sie mich gehen. Vater wird Sie gut dafür bezahlen. Bitte!«
Rufus hielt Kate weiter fest und fauchte die Unbekannte an: »Halt’s Maul, sonst schneide ich dir die Zunge heraus. Wärst nicht die Erste.«
Als wäre nichts gewesen, wandte er sich wieder Kate zu und umklammerte ihren Hals. Den Mund zu einem bösartigen Lächeln verzogen, verstärkte er den Griff der Finger. Ganz langsam schnürte er ihr die Luft ab.
»Um dich kümmert sich Madame, wer immer du sein magst«, raunte er in ihr Ohr. »Bis dahin machst du mir keine Probleme mehr.«
Sie krallte die Fingernägel in seine Hände. Ohne jede Wirkung. Dann folgte Dunkelheit.
Ihr Schädel dröhnte. Schlucken schmerzte. Jemand schüttelte
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