Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
fühlte Kate sich schuldig. Sie hatte ihn verraten und sein Leben zerstört.
Er weigerte sich weiterhin, gegen Madame auszusagen. Kate wunderte das nicht. Was immer er in der Frau sah, er liebte sie fast mehr als sich. Bei seiner Eitelkeit bedeutete das viel.
Nach dem, was die Polizei bis zum jetzigen Zeitpunkt herausgefunden hatte, war Gustav nicht an der Entführung beteiligt gewesen. Durch seine Einmischung hatte er nicht nur Kate, sondern auch Elise gerettet. Dafür, dass er überdosierte Medikamente und Gifte hergestellt hatte, mit denen Menschen ermordet worden waren, fehlten Beweise, und Kates Vater bestand darauf, seine Tochter nicht im Gerichtsverfahren aussagen zu lassen. Dennoch drohten ihm einige Jahre Gefängnis, schon allein, weil er von ihrer Herkunft gewusst hatte. Bei der Überprüfung seiner Papiere stellte sich zudem heraus, dass er sich als Ausländer seit Jahren ohne die benötigte Erlaubnis in Anglia aufhielt. Hatte er die Strafe abgesessen, wartete die sofortige Abschiebung nach Teutonien auf ihn. Seinen Angaben nach stammte er von dort und hasste es. Früh verwaist, war er bei seinem Onkel, einem Apotheker, aufgewachsen, der ihn als billige Arbeitskraft und Prügelknaben missbrauchte. Der Mann stieß ihn als Halbwüchsigen in einem Wutanfall die Treppe hinunter und verletzte ihm dabei das Knie. Später begegnete Gustav Madame, ließ sich nur zu gern von der attraktiven Frau in den Bann ziehen und war ihr in ihre alte Heimat gefolgt.
Spätestens als der Commissioner die Bemerkung machte, ein Mann mit Gustavs schwächlicher Konstitution könne nicht lange im Gefängnis überleben, wusste Kate, dass sie ihrem alten Peiniger helfen musste. Was immer er ihr angetan hatte, am Ende hatte er sich entschieden, sie zu retten, und Madames Willen getrotzt.
Also fasste sie sich ein Herz und suchte ihren Vater in seinem Arbeitszimmer auf. Sie bat ihn, seinen Einfluss geltend zu machen, Gustav begnadigen zu lassen und ein Flugticket in die Freiheit zu besorgen.
»Er hat seine Ersparnisse für mich geopfert. Ich schulde ihm mein Leben.«
Erst musterte der Baron sie, als verstünde er nicht, was sie von ihm verlangte. Er trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch und sagte dann: »Wenn du es möchtest.«
Sie nickte.
»Vielleicht ist es die beste Lösung. Der Mann hat einiges riskiert, um dich zu retten. Ich werde mit den entsprechenden Leuten reden.«
Er klang, als erwärme er sich für die Idee.
»Wohin?«
Kate überlegte nicht lange.
»Dorthin, wo er mich hinschicken wollte. Neuanglia.«
Er hielt Wort. Gustav wurde begnadigt, mit der Auflage, Anglia nie wieder zu betreten.
Ihr Vater erfüllte ebenfalls ihre Bitte, Gustav ein letztes Mal sehen zu dürfen, um sich von ihm zu verabschieden.
Kate wartete vor seinem Abflug in dem kleinen Raum der Flughafenpolizei auf Gustavs Überführung aus dem Gefängnis. Endlich stolperte er in das Zimmer, mit schmerzverzerrter Miene und hinkend. Rabiat hinterhergezerrt von einem Beamten, der seine Brutalität nicht verhehlte. Fast teilnahmslos ließ Gustav sich die schweren Eisen von den Handgelenken nehmen.
Bleich und dünn wie nie zuvor, mit schwarz umschatteten Augen und tief eingegrabenen Falten um den Mund ähnelte er einem halb verhungerten Landstreicher. Seine sonst so tadellose Kleidung hing zerknittert an ihm wie an einer alten Vogelscheuche. Ein gebrochener Mann. Als er sie erblickte, blieb er wie eingefroren stehen. Sie suchte seinen Blick, wartete auf eine Reaktion, ein Wort von ihm.
Vergeblich.
Ihr Vater, der sie begleitete, räusperte sich. Gustav zuckte zusammen, als erwarte er Prügel und drückte das Kinn auf die Brust. Erschüttert griff Kate nach seinen knochigen Fingern. Er zog sie weg. Die vorher einstudierten Sätze ließen sie im Stich, ihr Kopf fühlte sich leer und die Kehle wie zugeschnürt an. Schließlich gab sie auf. Mit bebenden Händen zog sie den Beutel mit den Münzen heraus, den er ihr bei ihrer Flucht gegeben hatte. Sie hielt ihn ihm hin.
Er rührte sich nicht.
»Nehmt es. Es gehört Euch und Ihr braucht es nötiger als ich«, stieß sie hervor.
Endlich umschloss er das Geld mit seinen Krallenfingern und steckte es ein. Wortlos.
Kate ertrug es nicht länger. Sie rannte aus dem Raum und rang nach Luft. Ihr Vater kam ihr hinterher.
Sie wollte nicht mit ihm reden, doch er griff sie am Arm und sagte: »Ein Anruf von mir und er bleibt.«
Kate wich seinem prüfenden Blick nicht aus. Sie schüttelte den
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