Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
zwinkerte ihr forsch zu.
Sein Partner verzog die Lippen zu einem Lächeln und verbeugte sich ein weiteres Mal, als wolle er das ungehörige Gebaren seines Begleiters entschuldigen.
»Könnte eventuell eine Fehlinterpretation ihrerseits vorliegen, Mylady? Wir wurden nur beauftragt, Sie zu finden, aufzusuchen und Ihnen persönlich den Brief auszuhändigen. Wir sind eine Detektei, nicht die Polizei.«
Kate benötigte einen Augenblick, das Gesagte zu verarbeiten.
»Sie lassen mich in Ruhe?«, fragte sie ungläubig.
»Sobald wir das Schreiben übergeben haben«, versprach er.
Brüsk riss sie ihm das Schriftstück aus der Hand, schlug ihm die Tür vor der Nase zu und wartete. Niemand klopfte oder brüllte. Sie gönnte sich einen tiefen Atemzug. Der Umschlag trug die Schrift ihres Vaters. Mit zitternden Fingern öffnete sie das Siegel und las, was auf dem innenliegenden Blatt stand.
Der erste Satz schmerzte viel stärker, als sie zugeben mochte.
»Dir ist sicher klar, dass dein Verhalten völlig inakzeptabel ist, du jede gesellschaftliche Reputation verloren hast, und ich deinen Namen in Gesprächen nicht mehr erwähne.«
Die Zeilen verschwammen. Kate wischte mit dem Ärmel über die Augen. Dann zwang sie sich weiterzulesen.
»Du hast dich gegen deine Familie entschieden, uns belogen und hintergangen, und gehörst deshalb nicht länger zu uns. Der Grund, weshalb ich dich nicht von der Polizei habe zurückschaffen lassen.«
Eine Träne tropfte auf das Blatt. Schnell tupfte Kate sie ab, damit die Schrift nicht verwischte. Sie schleppte sich zurück in die Küche und sank auf einen Stuhl, fühlte sich müde und erschöpft wie eine alte Frau. Eine Weile saß sie bewegungslos da, verwünschte sich für die Dummheit, ihrem Vater geschrieben zu haben. Schließlich überwand sie sich, auch den Rest seiner Abrechnung mit ihr zu ertragen.
»Dennoch bleibst du meine Tochter. In meinem Herzen habe ich dir vergeben, obwohl ich dies nicht öffentlich sagen werde. Ohne Audras hinterlistige Verbrechen wäre all dies nie geschehen. Gott hat mir ein weiteres Kind geschenkt, und ich möchte trotz allem, dass du ein gutes Leben hast. Sieh das Geld als eine Art Aussteuer an. Falls du Hilfe benötigst, melde dich bei mir. Ich wäre dankbar, wenn du mir ab und zu schreibst, wie es dir und deinem angeblichen Onkel ergeht.«
Er verzieh ihr! Kate hätte vor Erleichterung schreien mögen. Stattdessen drängte ein Schluchzer aus ihr heraus, dem andere folgten. Endlich gelang es ihr, sich zusammenzureißen und mit dem Weinen aufzuhören.
Im Umschlag lag ein zweiter Zettel. Ein Bankdokument mit der Unterschrift und dem Siegelabdruck ihres Vaters. Demnach wartete in einer der hiesigen Banken Geld auf sie. Ihr Aussehen würde ausreichen, um ihre Berechtigung daran nachzuweisen. Kate schnappte nach Luft, als sie die Auszahlungssumme sah. Ihre Aussteuer war wahrlich großzügig bemessen!
Gleichzeitig überrollte sie wieder einer der Momente, in denen sie mit sich haderte, ob ihre Entscheidung wegzulaufen, wirklich richtig gewesen war. Sie vermisste Menschen, denen sie etwas bedeutete. Jemanden wie ihren Vater. So sehr, dass es beinahe schmerzte.
Sie verbot sich selbst, die Vergangenheit schön zu reden. Um irgendwann rundherum glücklich zu werden, musste sie ein eigenes, selbstbestimmtes Leben führen. Durfte nicht vergessen, wie eingesperrt sie sich in ihrer Familie gefühlt hatte.
Also konzentrierte sie sich lieber auf das Bankdokument. Das Geld sicherte sie finanziell ab. Gustav und sie konnten ein Haus erwerben. Sogar ein weitaus größeres, als sie jemals erhofft hatten. Sie konnten expandieren. Gleich morgen würde sie nach einem Hausmädchen suchen. Und ihre erste Abenteuerreise rückte in greifbare Nähe.
Die Tür flog auf. Erschreckt sah sie hoch. Gustav stürmte herein und warf die Tageszeitung auf den Tisch.
»Titelseite!«, rief er und lachte dann los.
Kate versteinerte. Bisher hatte sie ihn nur einmal so lachen hören. Damals, als sie im Geheimgang Madame belauscht hatte.
»Lies!«, herrschte er sie unfreundlich an.
Sie hasste es, wenn er sie wie früher behandelte, doch gehorchte sie fast aus Reflex, was sie beinahe noch mehr ärgerte. Die Hauptnachricht setzte sich mit der Wahl in Anglia auseinander. Sie hatte die Wahl vergessen! Gestern war dort ein neuer Premierminister gewählt worden.
Baron Standfort hatte mit überwältigender Mehrheit gewonnen. Ihr Vater.
Gustav wischte sich mit dem Taschentuch über das
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