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Tolstoi Und Der Lila Sessel

Tolstoi Und Der Lila Sessel

Titel: Tolstoi Und Der Lila Sessel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Sankovitch
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klebte hartnäckig graue Erde fest, sosehr ich sie auch schrubbte, und nachts im Bett tat mir der ganze Rücken weh.
    Als der Frühling Sommer wurde, bekamen die kleinen Reiser grüne Blättchen und wuchsen kräftig. Die Birnbäume waren noch immer krumm und schief, aber an ihren Ästen sprossen Blätter. Und seitdem vermehren sich in jedem Frühjahr Osterglocken und Tränendes Herz, und die Birnbäume blühen wie eine weiße Wolke. Die Forsythienbüsche werden immer leuchtender und größer. Ich schneide die neuen Triebe fast nie zurück. Mir gefällt es, wie sich die gelben Blütenzweige kreuz und quer der Sonne entgegenrecken und im Wind schaukeln. Es sieht aus, als würden die Büsche auf dem hellgrünen Rasen einen Tanz aufführen.
    Dieses eine Jahr lang ein Buch am Tag zu lesen schuf Platz in meinem Kopf, so wie ich durch harte körperliche Arbeit Platz und Ordnung in unserem Garten geschaffen hatte. Ich war in einem Dornengestrüpp aus Trauer und Angst gefangen gewesen. Der Lesemarathon, manchmal schmerzlich und oft sehr anstrengend, zog mich aus dem Schattendickicht heraus ins Licht. Und ich bin nicht die Einzige, die Unkraut und Giftsumach ausreißt und alljährlich wiederkehrende Schönheit pflanzt. Überall auf der Welt gibt es Menschen wie mich, die buddeln und harken und Hoffnung säen, auf dass die Blumen jedes Jahr von Neuem herauskommen und blühen.
    Am Ende von Little Bee liegen Sarah und Little Bee in Nigeria am Strand. Little Bee döst in der Sonne ein und träumt: »Ich reiste durch mein Land und hörte mir alle möglichen Geschichten an. Nicht alle waren traurig. Ich entdeckte auch viele schöne Geschichten. Ja, es gab das Grauen, aber auch die Freude. Die Träume meines Landes sind nicht anders als eure – sie sind so groß wie das menschliche Herz.«
    Ja, Little Bees Herz war genauso groß wie das von Sarah, und mein Herz ist so groß wie das von Kulwinder Singh, und das Herz meines Vaters war so groß wie das des Ehepaars aus Regensburg, das alle drei Söhne im Krieg verloren hatte. Und die Herzen der japanischen Soldaten auf der Pazifikinsel waren so groß wie die ihrer amerikanischen Wärter. Ich bin mit der gesamten Menschheit verbunden, nicht durch ein großes, allumfassendes Karma, nicht durch ein und dieselben Erfahrungen, aber durch gemeinsame Empfindungen. Durch die Größe unseres Herzens.
    Beim Lesen verstand ich, dass Menschen in aller Welt genau wie ich unter Trauer und Orientierungslosigkeit litten. Wir alle versuchen, Sinn in das Unerwartete, das Gefürchtete und Unvermeidliche zu bringen. Wie sollen wir leben? In Anteilnahme. Denn wenn wir die Last der Angst und Ratlosigkeit, der Einsamkeit und Trauer gemeinsam tragen, wird sie für jeden Einzelnen von uns leichter. Schon spüre ich, wie das Gewicht auf meinen Schultern weniger wird. Meine eigenen Wünsche schlagen wieder aus, meine Bedürfnisse treiben Wurzeln. Ich stehe in einem Garten, der von Dornengestrüpp und giftigen Ranken befreit ist, und ich bin nicht allein. Wir sind viele, wir rücken dem Unkraut mit Harke und Spaten zu Leibe und warten auf die Sonne.

14
Sex, wie er im Buche steht
Nach zwölf Ehejahren war Laura seine Begeisterung dauerhaft leid. Wenn sie den kleinen Finger reichte, so hatte sie gelernt, wurde die ganze Hand genommen, und wenn sie gelegentlich bereit war, nahm er an, dass die Tür jederzeit offen stand.
JANE HAMILTON , Laura Rider’s Masterpiece
      Wenn Lust allein dem Drang gehorchte, die Spezies zu erhalten, wären ihre Regungen verstummt, nachdem meine Kinder zur Welt gekommen waren. Doch dass die Lust die schmerzliche körperliche Erfahrung des Gebärens übersteht, unterstreicht die Tatsache, dass unser sexuelles Begehren mehr ist als ein biologischer Impuls. Ich hatte für sechs Menschen einzukaufen und zu kochen, vier Kinder zu beaufsichtigen, ein Haus in Ordnung und möglichst sauber zu halten, ein Buch am Tag zu lesen und etwas darüber zu schreiben, und danach war keine Zeit oder Energie mehr übrig. Sex hätte nicht mehr in meinem Wortschatz vorkommen sollen, tat es aber. Woher kam dieses Begehren?
    Am Anfang meines Lesejahres las ich A Celibate Season von Carol Shields und Blanche Howard. In dem Roman verbringt ein Ehepaar mit zwei Kindern im Teenageralter zehn Monate getrennt voneinander, weil der Beruf der Frau es erfordert. Zwischen Jocelyn und Charles erstreckt sich die gesamte kanadische Landmasse, und wegen finanzieller Engpässe (und der Tatsache, dass die

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