Tolstoi Und Der Lila Sessel
sich mit roter und weißer Farbe die dänische Fahne auf ihre Gesichter gemalt.
»Wir wollen Caroline Wozniacki sehen«, sagte ein Mann, der den Platz hinter uns hatte. »Und Sie?«
Ich drehte mich zu ihm um. »Wer spielt denn heute im Grandstand?«
»Tommy Haas, Kim Clijsters, Wozniacki … Und später spielen Serena und Venus hier Doppel.« Meredith und ich sahen uns strahlend an. Die Williams-Schwestern? Große Klasse! Dann zog sie los, um Kaffee zu holen, und ich las mein Buch zu Ende. Das Match würde erst in einer Stunde beginnen.
O’Brien ist für Leaving Las Vegas bekannt, sein Buch über einen selbstzerstörerischen Alkoholiker. Auch Better handelt von Menschen, die Vergessen und Enthemmung im Alkohol suchen. Ein reicher Mann namens Double Felix macht sein Haus zu einem Treffpunkt für Alkoholiker und für Frauen, die bereit sind, Sex im Tausch gegen einen gehobenen Lebensstandard zu bieten. Der Erzähler, William, ist ein ehemals ambitionierter junger Mann, der sich der rauschhaften Atmosphäre im Haus überlässt und Tag und Nacht in Sex und Drogen schwelgt. Meistens beginnt er den Tag damit, dass er mit seinem Gastgeber Double Felix eine Flasche Wodka leert, und danach trinkt er nonstop weiter. In seinen Romanen gelingt es O’Brien sehr gut, die Apathie der Alkoholiker zu zeigen: wie ihnen das Leben entgleitet und ihre Willenskraft zerbricht. Seine Charaktere müssen ständig unter Alkoholeinfluss stehen, damit sie die Stadien ihrer Selbstzerstörung in einem Zustand der Benommenheit durchlaufen können. William ist nie voll da, für ihn spielt sich alles im Dunst und Nebel des Alkohols ab.
Als er schließlich aus seiner Benommenheit aufwacht und aktiv wird, um einen Menschen zu retten und einen anderen zu schützen, war ich überrascht. Das Buch hatte plötzlich das Tempo gewechselt. O’Brien gab William die Möglichkeit eines Neuanfangs. »Teil meiner Begeisterung, so weit sie geht, für die Wendung, die in meinem Leben stattfindet, besteht darin, dass ich sie überall und auf die verschiedenste Weise bekräftigen muss.« Bekräftigung ist ein Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt nach vorn. Und mit diesem Schritt fängt er an, sich um die Menschen um ihn herum zu kümmern.
»Seid freundlich«, sagt Plato, »denn jeder, dem ihr begegnet, hat einen schweren Kampf zu schlagen.« Freundlichkeit ist eine positive und starke Kraft, mit der man andere über Abgründe hinweg erreichen kann. In seinem benebelten Zustand ist William allein, aber als er sich aufrafft, um der ehemaligen Prostituierten zu helfen, die ihrerseits Anteil an ihm nimmt, ist er es nicht mehr. Nach dem Tod meiner Schwester zeigten mir die Worte, Briefe und Umarmungen meiner Freunde, dass ich in meiner Trauer nicht von ihnen abgeschnitten war. Ich war von Menschen umgeben, die Anteil nahmen. Als Meredith aus London zu uns kam, empfingen ihre Brüder, ihr Vater und ich sie mit weit offenen Armen. Diese Situationen sind grundverschieden, ähneln sich aber darin, dass es jedes Mal die Freundlichkeit ist, die eine Verbindung zwischen zwei Menschen herstellt.
Es ist unmöglich, die Ungerechtigkeiten im Leben auszugleichen, und ich bin nicht imstande, eine überzeugende Erklärung dafür zu liefern, warum Krankheit, Tod und die Härten des Lebens so ungleich verteilt sind. Aber ich glaube fest, dass Anteilnahme, Mitgefühl und Trost eine Antwort auf Schmerz und Trauer sind. In einem Gedicht von Jane Kenyon, Killing the Plants , heißt es: »Sie geben auch weiterhin / Almosen an die Armen: reine Luft, wunderbare / Blüten, ein Vorbild der Beharrlichkeit. Freundlichkeit ist Beharrlichkeit.« Sie rührt von dem unbeirrbaren Versuch her, eine Antwort auf die nicht zu beantwortende Frage nach tragischem Schicksal und Verlust zu finden. In Zeiten von Trauer und Kummer bringt Mitgefühl Erleichterung. Nichts, auch nicht die großzügigste freundliche Tat, kann Anne-Marie wieder zurückbringen, doch jede zartfühlende, fürsorgliche Geste lindert meinen Kummer und schenkt mir neue Kraft.
Jetzt war es an mir, Meredith die Kraft und Beharrlichkeit meiner Unterstützung und Fürsorge spüren zu lassen. Ich schenkte ihr einen Tag Pause; von ihrem Unglück und ihrem Grübeln über die Zukunft. Ich schenkte uns beiden einen wunderschönen sonnigen Tag, an dem wir Limonade tranken, beim Tennis zuguckten, mit den Zuschauern lachten und applaudierten. Die Williams-Schwestern spielten, gewannen und beeindruckten uns mit ihrer Gegenwart. Kim
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