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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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unruhig, als sie selbst. – »O,« sagte sie, »wenn dem also ist, so lassen Sie [297] mich machen: ich will ihm bald weisen, wie die Hausthür auswendig aussieht; trauen Sie mir. Da unten sind zwei oder drei handfeste Kerle, die was anfassen können.« – »Es wird keiner Gewalt bedürfen,« sagte Alwerth. »Wenn Sie ihm eine Botschaft von mir überbringen wollen, so wird er schon, wie ich nicht zweifle, von selbst abziehn.« – »Ob ich will?« sprach Madame Miller. »In meinem Leben habe ich nichts so gerne gethan.« Hier mischte sich Jones darein und sagte, er habe die Sache reiflicher überlegt, und wollte, wenn's Herrn Alwerth so gefällig wäre, selbst der Bote sein. »Ich weiß schon ziemlich, wie's mein lieber Onkel gemacht haben will, und ich bitte nur um Erlaubnis, daß ich's ihm in meinen eignen Worten hinterbringen dürfe. – Lassen Sie sich bitten, lieber Onkel,« fügte er hinzu, »zu überlegen, was für entsetzliche Folgen es haben könnte, wenn man ihn bis zur heftigen und plötzlichen Verzweiflung triebe. Ach, wie wenig ist dieser Jüngling, in seiner jetzigen Fassung, zum Sterben geschickt!« Dieser Gedanke war nicht ohne Wirkung auf Madame Miller. Sie verließ das Zimmer mit den Worten: »Sie sind zu gut, Herr Jones, unendlich viel zu gut, in dieser Welt zu leben.« Er machte aber einen tiefern Eindruck auf Herrn Alwerth. »Mein lieber Sohn,« sprach er, »ich bin ebenfalls erstaunt über die besondere Güte deines Herzens und über die Lebhaftigkeit deines Verstandes. Es wäre allerdings fürchterlich und der Himmel woll' es verhüten, wenn diesem bösen Menschen Zeit und Mittel zur Reue und Buße versagt würden. Wohl! geh' also zu ihm und verfahre nach deiner besten Einsicht; aber schmeichle ihm nicht mit der Hoffnung auf meine Vergebung, denn Bosheiten werde ich nie anders vergeben, als in sofern mir die Religion befiehlt, und ihre Befehle erstrecken sich in dem Falle nicht bis auf Wohlthaten oder Umgang.«
    Jones ging hinauf nach Blifils Zimmer, den er in einer Lage fand, welche ihn zum Mitleiden bewegte, ob solche gleich bei manchem Zuschauer eine weniger milde Leidenschaft erregt haben möchte. Er hatte sich auf ein Bett geworfen, wo er sich der Verzweiflung überließ und in Thränen schwamm. Nicht solche Thränen, die aus Reue fließen, und von solchen Seelen die Schuld abwaschen, welche verführt sind, oder sich gegen ihren natürlichen Hang unbedachtsamerweise haben hinreißen lassen, wie wohl zuweilen aus menschlicher Schwachheit selbst dem Guten begegnet. Nein, es waren die Thränen eines beängstigten Diebes auf der Leiter zum Galgen, welche ordentlicherweise eine Wirkung desjenigen Wohlwollens sind, das auch selbst die verhärtetsten Gemüter selten ermangeln – für sich selber zu empfinden.
    Es würde trockene und langweilige Arbeit werden, wenn ich diese Szene der Länge nach ausmalen wollte. Es mag also damit genug sein, wenn ich sage: das Betragen des Herrn Jones war fast bis zum Uebertriebenen gütig. Er unterließ nichts von alle dem, was er nur ersinnen konnte, um Blifils gesunkenen Mut aufzurichten und zu stärken, bevor er ihm den Entschluß seines Oheims, daß er noch den Abend das Haus verlassen müßte, bekannt machte. [298] Er erbot sich, ihn mit so viel Geld zu versorgen, als er bedürfe, und versicherte ihn, daß er ihm alles, was er ihm zuwider gethan habe, von Herzen verzeihen und sich bestreben wolle, künftighin als Bruder mit ihm zu leben. Daneben wolle er auch nichts unversucht lassen, um eine Aussöhnung mit ihrem Oheim zu bewirken.
    Blifil war anfangs störrig und stumm, und erwog in seinen Gedanken, ob er nicht noch alles leugnen sollte. Da er aber endlich fand, daß das Zeugnis wider ihn zu stark sei: so legte er sich zuletzt auf's Bekennen. Er bat hienächst auf die heftigste Weise seinen Bruder um Vergebung, warf sich vor ihm zur Erden und küßte ihm die Füße: kurz, er war jetzt ebenso äußerst niederträchtig, als er vorher äußerst ruchlos gewesen war.
    So weit konnte Jones seine Verachtung nicht unterdrücken, daß sie sich über dieses knechtische Kriechen nicht ein wenig in seinen Mienen gezeigt haben sollte. Er hob seinen Bruder den ersten Augenblick von der Erde auf, da er nur dazu kommen konnte, und ermahnte ihn, seine Widerwärtigkeiten mehr wie ein Mann zu tragen, wobei er das Versprechen wiederholte, alles thun zu wollen, was in seinem Vermögen stünde, um solche zu mindern; wogegen Blifil, unter häufigen Beteurungen seiner

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