Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
oder sonstwer hatte die Reporter mit Photos versorgt. Da waren in ›Epoca‹ Bilder von Dickie im Segelboot vor Mongibello, in ›Oggi‹ Bilder von Dickie am Strand von Mongibello und auf der Terrasse des »Giorgio«, und ein Bild zeigte Dickie und Marge - ›die Freundin von il sparito Dickie und il assassinato Freddie‹ -, sie hielten einander umschlungen und lächelten, und da war sogar ein sehr förmliches Porträt von Herbert Greenleaf senior. Marges Münchner Adresse hatte Tom nirgendwo anders her als aus einer Zeitschrift. ›Oggi‹ brachte seit zwei Wochen einen Fortsetzungsbericht über Dickies Leben, in dem seine Schulzeit als »rebellisch« beschrieben und sein Leben in Amerika und seine Flucht nach Europa im Interesse der Kunst so bunt herausgeschmückt wurde, daß er als eine Mischung von Errol Flynn und Paul Gauguin daraus hervorging. Die Wochenillustrierten brachten immer die neuesten Polizeiberichte, aber die waren praktisch nichtssagend, und die Schreiber polsterten sie aus mit den Theorien, nach welchen ihnen in dieser Woche gerade zumute war. Ihre Lieblingstheorie war, Dickie sei mit einem anderen Mädchen durchgegangen - einem Mädchen, das vielleicht seine Schecks quittiert hatte -, und er verlebe inkognito schöne Tage in Tahiti oder in Südamerika oder in Mexiko. Die Polizei durchkämmte noch immer Rom und Neapel und Paris, und das war alles. Keine Spur vom Mörder Freddie Miles´, nichts darüber, daß man Dickie Greenleaf vor seiner Haustür gesehen habe, wie er Freddie Miles schleppte oder umgekehrt. Tom fragte sich, warum sie das den Zeitungen vorenthielten. Wahrscheinlich deshalb, weil sie das nicht schriftlich geben konnten, ohne sich einer Verleumdungsklage von Dickie auszusetzen. Tom war befriedigt, sich als einen »treuen Freund« des vermißten Dickie Greenleaf beschrieben zu sehen, der von sich aus alles beigesteuert hatte, was er über Dickies Charakter und Gewohnheiten wußte, und den Dickies Verschwinden genauso verstört hatte wie jeden anderen. »Signor Ripley, einer der gutsituierten jungen Italienreisenden aus Amerika«, schrieb ›Oggi‹, »wohnt jetzt in einem Palazzo in Venedig mit Blick auf Sankt Markus.« Das freute Tom am allermeisten. Er schnitt sich diesen Artikel aus.
Bis jetzt hatte Tom es noch nicht als »Palast« gesehen, aber natürlich war es das, was die Italiener als Palazzo bezeichnen - ein zweistöckiges, altmodisches Haus, das mehr als zweihundert Jahre alt war, mit einem Hauptportal zum Canal Grande hinaus, nur per Gondola erreichbar, mit einer breiten Steintreppe zum Wasser hinunter und Eisentüren, die mit Hilfe eines Schlüssels von acht Zoll Länge zu öffnen waren, und hinter den Eisentüren befanden sich noch normale Türen, zu denen ebenfalls enorme Schlüssel gehörten. Tom benutzte gewöhnlich die weniger formelle Hintertür, die auf die Viale San Spiridone hinausging, es sei denn, er wollte seine Gäste beeindrucken, indem er sie mit einer Gondel in sein Heim führte. Die Hintertür - ihrerseits viereinhalb Meter hoch wie die Steinmauer, die das Haus von der Straße abschloß - führte in einen Garten, der ein bißchen vernachlässigt war, aber immer noch grün, und der sich mit zwei verkrüppelten Olivenbäumen brüstete und mit einem Vogelbad, das aus der altertümlich wirkenden Statue eines nackten Jungen mit einer großen flachen Schale bestand. Es war genau der richtige Garten für einen venezianischen Palast, etwas heruntergekommen, nach ein wenig Pflege schreiend, die er nicht bekommen würde, aber von unauslöschlicher Schönheit, weil er vor mehr als zweihundert Jahren so schön geboren wurde. Innen entsprach das Haus Toms Idealvorstellung von dem Heim des kultivierten Junggesellen - zumindest in Venedig: unten ein Marmorfußboden in schwarz-weißem Schachbrettmuster, der sich von der vornehmen Halle aus bis in alle Zimmer zog, oben rosa-weißer Marmorboden, Möbel, die gar nicht wie Möbel aussahen, sondern wie gestaltgewordene Cinquecento-Musik, gespielt von Oboen und Violen da Gamba. Er ließ seine Dienstboten - Anna und Ugo, ein junges italienisches Pärchen, das schon einmal bei einem Amerikaner in Venedig gearbeitet hatte und deshalb den Unterschied zwischen einer Bloody Mary und einem crème de menthe frappé schon kannte - die geschnitzten Schränke und Kommoden und Stühle polieren, bis sie zu leben schienen mit den mattglänzenden Lichtern, die sich bewegten, so wie man sich um sie herum bewegte. Das einzig modern
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