Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Angehauchte war das Badezimmer. In Toms Schlafzimmer stand ein gigantisches Bett, breiter als lang. Tom dekorierte sein Schlafzimmer mit einer Reihe von Panoramabildern von Neapel aus der Zeit von 1540 bis etwa 1880, er hatte sie in einem Antiquariat aufgestöbert. Mehr als eine Woche hatte er der Ausgestaltung seines Hauses ungeteilte Aufmerksamkeit gewidmet. Er besaß jetzt eine Sicherheit des Geschmacks, die er in Rom noch nicht gehabt hatte und die seine Wohnung in Rom auch nicht hätte vermuten lassen. In jeder Beziehung war er sich jetzt seiner selbst viel sicherer.
Sein neues Selbstvertrauen hatte ihn sogar dazu gebracht, in ruhigem, herzlichem und geduldigem Ton an Tante Dottie zu schreiben, in einem Ton, den anzuwenden er bisher noch nie den Wunsch oder noch nie die Fähigkeit gehabt hatte. Er erkundigte sich nach ihrer unverwüstlichen Gesundheit, nach dem kleinen Kreise ihrer lästerlichen Freunde in Boston, und er setzte ihr auseinander, warum er Europa so liebte und die Absicht habe, eine Zeitlang hier zu leben, er setzte es so beredt auseinander, daß er sich diesen Abschnitt seines Briefes noch einmal abschrieb und im Schreibtisch aufhob. Er schrieb diesen begeisterten Brief eines Morgens nach dem Frühstück, er saß in seinem Schlafzimmer in einem neuen seidenen Morgenrock, den er sich in Venedig nach Maß hatte machen lassen, ab und zu blickte er aus dem Fenster auf den Canal Grande und über das Wasser hinweg auf den Campanile an der Piazza San Marco drüben. Als er fertig war mit dem Brief, kochte er sich noch einmal Kaffee und schrieb auf Dickies Schreibmaschine Dickies Testament, mit dem ihm Dickies Einkommen und das Geld, das bei den verschiedenen Banken lag, vermacht wurde, und er unterschrieb mit Herbert Richard Greenleaf. Tom hielt es für besser, keinen Zeugen zu benennen, damit nicht die Banken oder Mr. Greenleaf auf die Idee kämen, diesen Zeugen abzulehnen, wobei sie vielleicht sogar soweit gingen, daß sie zu wissen verlangten, wer dieser Zeuge war. Ursprünglich hatte Tom daran gedacht, einen italienischen Namen zu erfinden, es konnte ja jemand gewesen sein, den Dickie von der Straße in seine römische Wohnung heraufgeholt hatte, damit er als Zeuge fungierte. Nein, er mußte sich eben auf sein Glück mit einem zeugenlosen Testament verlassen, dachte er, aber Dickies Schreibmaschine war derart reparaturbedürftig, daß ihre Krakel genauso unverkennbar waren wie eine Handschrift, und er hatte gehört, daß für eigenhändige Testamente keine Zeugen nötig wären. Die Unterschrift jedenfalls war vollendet, sie war genau wie die dünne, verschlungene Unterschrift in Dickies Paß. Tom übte sie eine halbe Stunde lang, bevor er das Testament unterschrieb, er lockerte seine Finger, dann unterschrieb er auf einem Stück Schmierpapier, dann gleich hinterher das Testament. Und er war sicher, daß kein Mensch beweisen konnte, die Unterschrift auf dem Testament sei nicht die Unterschrift Dickies. Tom drehte einen Briefumschlag in die Maschine und adressierte ihn »an alle, die es angeht«, und darunter schrieb er die Anmerkung, daß der Umschlag nicht vor Juni dieses Jahres zu öffnen sei. Er schob ihn in eine Futtertasche seines Koffers, so als hätte er ihn dort schon eine ganze Weile mit sich herumgetragen und sich nicht die Mühe gemacht, ihn herauszunehmen, als er in sein Haus einzog und den Koffer auspackte. Dann nahm er die kleine Reiseschreibmaschine, packte sie in ihr Köfferchen, trug sie die Treppen hinunter und ließ sie in den kleinen Kanalzufluß plumpsen, der von der vorderen Hausecke bis zur Gartenmauer lief, zu schmal für ein Boot. Er war froh, die Maschine los zu sein, bis jetzt allerdings hatte er es nicht über sich gebracht, von ihr Abschied zu nehmen. Sein Unterbewußtsein mußte wohl geahnt haben, dachte er, daß er darauf noch das Testament oder sonst etwas äußerst Bedeutsames schreiben würde, und das war der Grund gewesen, warum er sie noch behalten hatte.
Mit der ängstlichen Besorgtheit, die einem Freunde Dickies wie auch Freddies wohl anstand, verfolgte Tom die Berichte der italienischen Presse und der Pariser Ausgabe des ›Herald Tribune‹ über den Fall Greenleaf und den Fall Miles. Ende März ließen die Zeitungen bereits durchblicken, daß Dickie möglicherweise tot sei, ermordet von dem gleichen Manne oder den gleichen Männern, die aus der Fälschung seiner Unterschrift Nutzen gezogen hätten. Ein römisches Blatt schrieb, daß ein Mann in Neapel jetzt
Weitere Kostenlose Bücher