Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
die Meinung verträte, die Unterschrift auf dem Brief aus Palermo, in dem Dickie erklärte, es wären keine Fälschungen gegen ihn begangen worden, sei ebenfalls gefälscht. Andere stimmten darin allerdings nicht mit ihm überein. Irgendeiner von der Polizei, nicht Roverini, glaubte, daß der Täter oder die Täter »intimo« mit Greenleaf gewesen wären, daß sie Zugang zu seiner Korrespondenz mit der Bank gehabt hätten und daß sie die Frechheit besessen hätten, von sich aus der Bank zu antworten. »Das Geheimnisvolle dabei ist nicht nur die Frage«, so zitierten sie den Offizier, »wer der Fälscher war, sondern auch die Frage, wie er sich Zugang zu den Briefen verschafft hat, denn der Portier des Hotels erinnert sich genau daran, daß er den eingeschriebenen Brief der Bank persönlich in die Hände Greenleafs gelegt hat. Der Hotelportier kann sich außerdem erinnern, daß Greenleaf in Palermo stets allein gewesen ist . . .«
Immer wieder rund herum um die Antwort, aber nie mitten hinein. Immerhin - Tom war minutenlang ganz durcheinander, als er das gelesen hatte. Es blieb ihnen nur noch ein einziger Schritt zu tun - ob nicht einer diesen Schritt täte, heute oder morgen oder übermorgen? Oder wußten sie nicht in Wahrheit die Antwort schon und waren nun dabei, ihn zu überrumpeln - Tenente Roverini, der ihm alle paar Tage persönliche Botschaften schickte, um ihn auf dem laufenden zu halten über alles, was im Zusammenhang mit der Suche nach Dickie geschah -, würden sie vielleicht eines baldigen Tages kommen und ihn mit allen nötigen Beweisen zerschmettern?
Jetzt hatte Tom das Gefühl, er würde verfolgt, vor allem, wenn er durch die langen, schmalen Gäßchen Venedigs seiner Haustür zustrebte. Die Viale San Spiridone war nicht mehr als ein zweckdienlicher Spalt zwischen hochaufragenden Häuserwänden, kein Geschäft war da, und es war kaum hell genug, daß er sehen konnte, wohin er trat, nichts als Häuserfronten, ohne Unterbrechung, und die hohen, fest verschlossenen Flügel der italienischen Haustore, die mit den Häuserwänden zu einer glatten Fläche verschmolzen. Kein Winkel, in den er sich hätte verkriechen können, wenn er angegriffen wurde, kein Hauseingang, in den er hätte eintauchen können. Tom wußte nicht, wer ihn angreifen würde, wenn er angegriffen werden sollte. Er dachte dabei nicht unbedingt an Polizisten. Er fürchtete sich vor etwas Namenlosem, Gestaltlosem, das wie die Furien seinen Geist jagte. Nur dann konnte er ruhigen Blutes durch die San Spiridone gehen, wenn ein paar Cocktails seine Angst niedergerungen hatten. Dann lief er großspurig und pfeifend hindurch.
Er hatte die Wahl unter den Cocktailparties, obwohl er während der ersten vierzehn Tage in seinem neuen Heim nur zwei besuchte. Er hatte die Wahl unter den Leuten, und das lag an einem kleinen Zwischenfall, der sich am ersten Tage seiner Haussuche ereignet hatte. Ein Häusermakler, bewaffnet mit drei riesigen Schlüsseln, hatte ihn mitgenommen, damit er sich ein bestimmtes Haus im Stadtteil San Stefane ansähe, wohl in dem Glauben, das Haus wäre zu haben. Aber das Haus war nicht nur bewohnt - es war darin auch eine Cocktailparty in vollem Gange gewesen, und die Gastgeberin hatte darauf bestanden, daß Tom und der Makler einen Cocktail mittranken, als Entschädigung für den vergeblichen Weg und für die Nachlässigkeit der Hausbewohnerin. Denn sie hatte das Haus einen Monat zuvor zur Neuvermittlung angeboten, hatte sich dann entschlossen, doch nicht auszuziehen, und hatte es versäumt, die Agentur zu informieren. Tom blieb auf ein Gläschen, legte die höflich-reservierte Platte auf und lernte alle Gäste kennen, es war, so schätzte er, ein großer Teil der Winterkolonie Venedigs, und sie hungerten ganz erheblich nach frischem Blut, das konnte man daraus schließen, wie sie ihn willkommen hießen und ihm ihren Beistand anboten bei seiner Haussuche. Natürlich war ihnen sein Name geläufig, und die Tatsache, daß er Dickie Greenleaf kannte, hob seinen gesellschaftlichen Wert in einem Maße, das sogar Tom in Erstaunen setzte. Offenbar wollten sie ihn überallhin einladen, ihn ausfragen, auch die letzte winzige Einzelheit aus ihm herauspressen, um ihrem öden Leben einige Würze zu verleihen. Tom gab sich zurückhaltend aber freundlich, so wie es einem jungen Manne in seiner Lage wohl anstand - einem empfindsamen jungen Manne, der es gar nicht gewöhnt war, im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen, und den
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