Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Greenleaf.
»Gibt es etwas Neues?« fragte Marge.
Mr. Greenleaf schüttelte den Kopf. Er warf nervöse, zerstreute Blicke aus dem Fenster des Motoscafo, so als zwänge ihn die unbekannte Stadt hinauszublicken, obwohl er nichts von ihr wahrnahm. Toms Frage nach dem Mittagessen hatte er nicht beantwortet. Tom verschränkte die Arme, setzte eine freundliche Miene auf und machte nicht mehr den Versuch, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Der Motor des Bootes machte sowieso ziemlichen Krach. Mr. Greenleaf und Marge führten ein sehr oberflächliches Gespräch über ein paar Bekannte in Rom. Tom dachte sich, daß Marge und Mr. Greenleaf sehr gut miteinander auskamen, obwohl Marge, wie sie sagte, ihn nicht gekannt hatte, bevor sie ihn in Rom traf.
Sie speisten in einem bescheidenen Restaurant zwischen dem ›Gritti‹ und dem ›Rialto‹, das auf Fischgerichte spezialisiert war und diese Gerichte immer in einem langen gläsernen Tresen zur Schau stellte. Eine der Platten bestand aus verschiedenen Arten der kleinen purpurroten Tintenfische, die Dickie so geliebt hatte, und Tom sagte zu Marge und wies dabei im Vorübergehen mit einer Kopf bewegung auf die Platten: »Zu schade, daß Dickie nicht hier ist, er würde sich an denen da laben.«
Marge lächelte heiter. Sie war stets guter Laune, wenn es ans Essen ging.
Mr. Greenleaf sprach ein bißchen mehr während des Essens, aber sein Gesicht blieb steinern, und sein Blick schweifte umher, während er sprach, so als hoffte er, Dickie würde jeden Augenblick hereinspazieren. Nein, die Polizei hatte auch nicht das geringste bißchen gefunden, was man eine Spur hätte nennen können, sagte er, und er habe gerade dafür gesorgt, daß ein Privatdetektiv aus Amerika herüberkäme und versuchte, das Mysterium aufzuklären.
Tom mußte nachdenklich schlucken - auch er hatte einen heimlichen Verdacht, oder vielleicht nur die Illusion, daß die amerikanischen Detektive besser seien als die italienischen -, aber dann erkannte er, wie sinnlos das war, genau wie auch Marge es anscheinend erkannte, denn ihr Gesicht wurde plötzlich lang und leer.
»Vielleicht ist das ein sehr guter Gedanke«, sagte Tom.
»Halten Sie denn etwas von der italienischen Polizei?« fragte Mr. Greenleaf ihn.
»Nun ja - ich halte tatsächlich etwas von ihr«, erwiderte Tom. »Außerdem hat sie den Vorteil, daß die Beamten italienisch sprechen, sie kommen überall hin und vernehmen jeden Verdächtigen. Wie ich annehme, spricht der Mann, den Sie angefordert haben, Italienisch?«
»Das weiß ich wirklich nicht. Ich weiß es nicht«, sagte Mr. Greenleaf ganz verstört, als käme ihm erst jetzt zum Bewußtsein, daß er das hätte verlangen müssen, aber es nicht verlangt hatte. »Der Mann heißt McCarron. Er soll ausgezeichnet sein.«
Sicherlich spricht er nicht italienisch, dachte Tom. »Wann trifft er hier ein?«
»Morgen oder übermorgen. Ich will morgen wieder in Rom sein, um ihn zu empfangen, wenn er da ist.« Mr. Greenleaf war mit seiner vitello alia parmigiana fertig. Viel hatte er nicht gegessen.
»Tom hat ein wunderschönes Haus!« sagte Marge und hieb in ihren siebenschichtigen Rumkuchen ein.
Tom wandelte den funkelnden Blick, den er auf sie gerichtet hatte, in ein schwaches Lächeln.
Das Fragespiel würde zu Hause vonstatten gehen, dachte Tom, wahrscheinlich dann, wenn er mit Mr. Greenleaf allein wäre. Er wußte, daß Mr. Greenleaf ihn allein sprechen wollte, und deshalb schlug er vor, den Kaffee gleich hier im Restaurant einzunehmen, noch ehe Marge den Vorschlag machen konnte, ihn zu Hause zu trinken. Marge mochte den Kaffee aus seinem Filter so gern. Auch so saß Marge noch eine halbe Stunde lang bei ihnen im Wohnzimmer herum, als sie wieder zu Hause waren. Marge besaß keinerlei Fingerspitzengefühl für so was, dachte Tom. Endlich schnitt er ihr eine wildkomische Grimasse und blickte auf die Treppe, und sie begriff den Wink, sie schlug die Hand vor den Mund und verkündete, daß sie hinaufginge, um ein Auge voll Schlaf zu nehmen. Sie war wie üblich von unzerstörbarer guter Laune, und sie hatte während des ganzen Essens auf Mr. Greenleaf eingeredet, daß Dickie natürlich nicht tot sei, und er dürfte, dürfte sich nicht so viel Sorgen machen, denn das sei gar nicht gut für seine Verdauung. Als hätte sie immer noch Hoffnung, eines Tages seine Schwiegertochter zu werden, dachte Tom.
Mr. Greenleaf stand auf und wanderte ruhelos auf und ab, die Hände in den Taschen seines Jacketts wie
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