Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
er muß plötzlich untertauchen. Die Polizei müßte also einen Mann finden, der seinen ordnungsgemäßen Ausweis nicht vorzeigen kann, müßte feststellen, wer es ist und dann nach einem Manne seines Namens suchen, der sich dann als Dickie Greenleaf entpuppen wird!«
Alle lachten, und Tom lachte am lautesten.
»Das dumme an der Geschichte ist«, sagte Tom, »daß eine Menge Leute, die Dickie kannten, ihn im Januar und Februar noch gesehen haben . . .«
» Wer?« unterbrach Pietro mit dieser verwirrenden Angriffslust des diskutierenden Italieners, die auf englisch doppelt verwirrend war.
»Na, ich zum Beispiel. Jedenfalls - ich wollte sagen, die Fälschungen fangen schon im Dezember an, wie die Bank jetzt meint.«
»Trotzdem - das ist eine Idee«, zwitscherte Marge, die nach ihrem dritten Glase glänzender Laune war und sich auf Peters großer Chaiselongue rekelte. »Eine richtige Dickie-Idee. Er könnte das gut und gerne so gemacht haben, direkt nach Palermo, als ihm zu allem Überfluß auch noch die Geschichte mit den Bankfälschungen in die Quere kam. Ich glaube keine Minute lang an diese Fälscherei. Ich finde, Dickie hat sich so sehr verändert, daß auch seine Handschrift anders geworden sein kann.«
»Das finde ich auch«, sagte Tom. »Man ist sich bei der Bank sowieso nicht einig darüber, ob sie alle gefälscht sind. Amerika ist darüber geteilter Meinung, und Neapel hat das unbesehen von Amerika übernommen. Neapel wäre im Leben nicht auf Fälschung gestoßen, wenn die Vereinigten Staaten nicht davon angefangen hätten.«
»Was die Abendzeitungen wohl heute bringen?« fragte Peter und zog seinen pantoffelähnlichen Schuh wieder an, den er halb abgestreift hatte, wahrscheinlich weil er drückte. »Soll ich sie holen gehen?«
Aber einer der Franchettis erbot sich zu gehen und schoß aus dem Zimmer. Lorenzo Franchetti trug eine Weste mit rosa Stickerei, all´ inglese, einen Anzug aus England und dicksohlige englische Schuhe, und auch sein Bruder war nicht viel anders angezogen. Peter dagegen war von Kopf bis Fuß italienisch eingekleidet. Das hatte Tom gelernt auf Parties und im Theater, daß ein Mann, der in englischer Kleidung steckte, ganz bestimmt Italiener war, und umgekehrt.
Gerade als Lorenzo mit den Zeitungen kam, trafen noch ein paar Gäste ein - zwei Italiener und zwei Amerikaner. Die Zeitungen gingen von Hand zu Hand. Wieder Diskussionen, wieder lauter alberne Spekulationen, wieder neue Erregung über die Nachrichten des Tages: Dickies Haus in Mongibello sei an einen Amerikaner verkauft worden, der doppelt so viel bezahlt habe, als Dickie ursprünglich für das Haus verlangt hätte. Das Geld würde bei einer Bank in Neapel deponiert, bis Greenleaf es holen käme.
Die gleiche Zeitung brachte auch eine Karikatur, auf der ein Mann am Boden kniete und unter die Kommode guckte. Seine Frau fragte: »Kragenknopf?« Und seine Antwort lautete: »Nein, ich suche Dickie Greenleaf.«
Tom hatte gehört, daß auch die römischen Kabaretts die Suche nach Dickie auf die Schippe nahmen.
Einer der gerade angekommenen Amerikaner, er hieß Rudi Sowieso, lud Tom und Marge für den nächsten Tag zu einer Cocktailparty in sein Hotel ein. Tom setzte eben zu einer Absage an, als Marge bereits sagte, daß sie mit Vergnügen kommen würde. Tom hatte nicht gedacht, daß sie morgen noch hier sein würde, denn beim Mittagessen hatte sie von Abreise gesprochen. Diese Cocktailparty würde tödlich, dachte Tom. Rudi war ein großmäuliger, ungehobelter Bursche in auffälliger Kleidung, er handelte mit Antiquitäten, wie er sagte. Tom manövrierte sich mit Marge aus dem Hause, ehe sie noch weitere Einladungen annehmen konnte, die vielleicht in noch fernerer Zukunft lagen.
Marge war mächtig aufgekratzt, sie fiel Tom auf die Nerven während der langen, fünfgängigen Mahlzeit, aber er tat sein Äußerstes und gab sich wie sie - wie ein hilfloser Frosch, an einer elektrisch geladenen Nadel zappelnd, dachte er -, und immer, wenn sie ihm den Ball zuwarf, nahm er ihn auf und dribbelte ein Stückchen weiter. Er sagte Dinge wie: »Vielleicht hat Dickie sich in seiner Malerei plötzlich gefunden und ist auf und davon gegangen wie Gauguin, auf eine Südseeinsel.« Es machte ihn krank. Dann spann Marge den Gedanken aus zu einer Phantasie über Dickie und die Südseeinseln, sie untermalte es mit trägen Handbewegungen. Und das Schlimmste sollte noch kommen, dachte Tom: die Fahrt in der Gondel. Wenn sie diese Hände im Wasser
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