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Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Titel: Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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sonntäglichen Spätfrühstück in Pauls Wohnung am Riverside Drive gegangen war, und Paul hatte auf dem Klavier ein paar eigene Kompositionen gespielt, es hatte Tom sehr gut gefallen. »Kann ich dir nicht etwas zu trinken anbieten? Wir wollen mal sehen, ob wir nicht eine Bar finden«, sagte Tom.
    Im selben Augenblick aber kam ein Steward heraus, schlug auf einen Gong und schrie: »Besucher an Land, bitte! Alle Besucher an Land!«
    »Er meint mich«, sagte Paul.
    Sie schüttelten sich die Hände, klopften sich auf die Schultern, versprachen, sich Postkarten zu schreiben. Dann war Paul weg.
    Bobs Bande wird bis zum letzten Augenblick bleiben, dachte er, wahrscheinlich wird man sie mit Gewalt hinaustreiben müssen. Abrupt drehte Tom sich um und lief eine schmale, leiterähnliche Treppe hoch. Oben sah er sich vor einer Kette, an der das Schild baumelte: NUR ZWEITE KLASSE, aber er schwang ein Bein über die Kette und betrat das Deck. Sicherlich wird man nichts dagegen haben, daß ein Passagier in die Zweite Klasse geht, dachte er. Er brachte es nicht über sich, Bobs Bande noch einmal zu sehen. Er hatte Bob eine halbe Monatsmiete gezahlt und ihm ein Abschiedsgeschenk gegeben, ein gutes Hemd mit Krawatte. Was wollte Bob denn noch?
    Das Schiff fuhr bereits, ehe Tom sich getraute, wieder in seine Kabine zu gehen. Vorsichtig ging er hinein. Die hübsche blaue Bettdecke war wieder glatt. Die Aschenbecher waren sauber. Nichts deutete mehr darauf hin, daß sie je hier gewesen waren. Tom atmete auf und lächelte. Das war Kundendienst! Die gute alte Tradition der Cunard-Linie, der britischen Seefahrt und so weiter! Sein Blick fiel auf einen großen Obstkorb auf dem Fußboden neben seinem Bett. Begierig griff er nach dem kleinen weißen Briefumschlag. Auf der Karte stand:
    Gute Reise und Gottes Segen, Tom. All unsere guten Wünsche begleiten Sie.
    Emily und Herbert Greenleaf
    Der Korb hatte einen hohen Henkel und war ganz mit gelbem Zellophanpapier umhüllt - Äpfel und Birnen und Trauben und ein paar Zuckersachen und kleine Likörfläschchen. Tom hatte noch nie einen Präsentkorb bekommen. Für ihn war das immer etwas gewesen, was man zu Phantasiepreisen in Schaufenstern von Delikateßgeschäften sehen konnte, er hatte über so was nur gelacht. Nun stand er da, Tränen in den Augen, und plötzlich schlug er die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen.

6
    Er war ruhig und heiter, aber ohne jedes Bedürfnis nach Gesellschaft. Er brauchte seine Zeit zum Nachdenken, und er legte keinen Wert darauf, irgendwelche Leute auf dem Schiff kennenzulernen, keinen Menschen, wenn er auch lächelnd und zuvorkommend grüßte, sobald er einem von denen, die mit an seinem Tische saßen, begegnete. Er begann, sich in seine Rolle auf dem Schiff einzuleben, in die Rolle des ernsten jungen Mannes, dem ernste Geschäfte bevorstanden. Er war liebenswürdig, gelassen, gesittet und geistesabwesend.
    Ganz plötzlich stand ihm der Sinn nach einer Mütze, und er kaufte sich eine bei den Herrenartikeln, eine konservative graublaue Mütze aus weicher Schottenwolle. Den Mützenschirm konnte er herunterziehen, bis er fast das ganze Gesicht verdeckte, wenn er in seinem Liegestuhl ein Nickerchen machte oder wenn es so aussehen sollte, als machte er eins. So eine Mütze war doch die vielseitigste Kopfbedeckung, die es gab, und er wunderte sich jetzt, daß ihm noch nie die Idee gekommen war, eine Mütze zu tragen. Er konnte wie ein Gutsbesitzer, wie ein Landstreicher, wie ein Engländer, ein Franzose oder einfach wie ein leicht exzentrischer Amerikaner aussehen, je nachdem, wie er sie aufsetzte. Tom amüsierte sich mit der Mütze vor dem Spiegel in seiner Kabine. Immer hatte er geglaubt, er besäße ein völlig unbedeutendes Allerweltsgesicht, ein unauffälliges Gesicht mit einem Zug der Gefügigkeit, den er nicht verstehen konnte, und auch einem Zug der unbestimmten Angst, den er nie ganz hatte ausmerzen können. Das Gesicht eines echten Konformisten, dachte er. Die Mütze änderte das alles. Sie umgab ihn mit einem Air des Rustikalen, Greenwich, Connecticut, Landluft. Jetzt war er ein junger Mann mit Geld, noch nicht sehr lange heraus aus Princeton oder so. Er kaufte sich auch noch eine Pfeife, zur Ergänzung der Mütze.
    Er fing ein neues Leben an. Adieu all den zweifelhaften Leuten, mit denen er sich in den letzten drei New Yorker Jahren umgeben und die er in seiner Umgebung geduldet hatte. Ihm war zumute, wie seiner Vorstellung nach Emigranten zumute sein

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