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Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Titel: Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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stark wie ein Pferd. Er fügte hinzu:
    »P. S. Ich habe noch keine Ahnung, wie meine Adresse lauten wird. Ich kann Dir also noch keine angeben.«
    Jetzt war ihm wohler, denn das trennte ihn endgültig von ihr. Was zwang ihn, ihr jemals mitzuteilen, wo er sich aufhielt? Schluß mit den Briefen voll falscher Großmut, mit den hinterlistigen Vergleichen zwischen ihm und seinem Vater, mit den mickrigen Schecks über seltsame Beträge wie sechs Dollar und achtundvierzig Cent oder zwölf Dollar und 95 Cent, so als hätte sie noch einen kleinen Rest stehen gehabt von ihrer letzten Überweisung oder als hätte sie irgendeinen Einkauf rückgängig gemacht, um dann ihm das Geld vor die Füße zu werfen wie einem Hund den Knochen. Wenn man bedachte, was Tante Dottie ihm bei ihrem Vermögen hätte schicken können, dann waren die Schecks geradezu eine Beleidigung. Tante Dottie pochte darauf, daß seine Erziehung sie mehr gekostet habe, als sein Vater an Versicherungsgeldern hinterlassen hätte, vielleicht stimmte das sogar, aber mußte sie ihm das denn ständig unter die Nase reiben? Welcher anständige Mensch rieb denn einem Kinde ständig so etwas unter die Nase? Unzählige Tanten und sogar wildfremde Menschen zogen Kinder groß für gar nichts und waren noch glücklich darüber.
    Nach dem Brief an Tante Dottie stand er auf und wanderte über das Deck, er lief es sich ab. So ein Brief brachte jedesmal sein Blut in Wallung. Voller Widerwillen war er höflich zu ihr. Immerhin - bisher war er immer darauf bedacht gewesen, sie wissen zu lassen, wo er war, denn immer hatte er ihre mickrigen Schecks nötig gehabt. Immer hatte er Briefe reihenweise an Tante Dottie schreiben müssen wegen der Adressenänderungen. Aber er brauchte jetzt Tante Dotties Geld nicht mehr. Er machte sich davon unabhängig, für immer.
    Plötzlich fiel ihm ein Sommertag wieder ein, lange her, er war wohl zwölf gewesen. Tante Dottie und eine ihrer Freundinnen hatten mit ihm einen Ausflug über Land gemacht, und sie waren irgendwo in ein dickes Verkehrsknäuel geraten, Stoßstange an Stoßstange. Schrecklich heiß war es gewesen, Tante Dottie hatte ihn losgeschickt mit einer Thermosflasche, er sollte bei einer Tankstelle etwas Eiswasser besorgen, und plötzlich hatte sich die Autokolonne in Bewegung gesetzt. Er erinnerte sich, wie er gerannt war, zwischen riesigen, rollenden Wagen, immer nahe daran, die Tür von Tante Dotties Wagen zu packen, aber nie ganz dazu imstande, denn sie war weitergefahren, so schnell es ging, nicht willens, auch nur eine Sekunde auf ihn zu warten, und aus dem Wagenfenster hatte sie ihm ununterbrochen zugebellt: »Na los, na los doch, du Transuse!« Als es ihm endlich geglückt war, den Wagen zu erreichen und hineinzuspringen, als ihm die Tränen der Erschöpfung und Verzweiflung über die Backen kullerten, da hatte sie munter zu ihrer Freundin gesagt: »So ein Schwächling! Er ist von Grund auf ein Schwächling, genau wie sein Vater!« Ein Wunder, daß er bei dieser Behandlung überhaupt so gut davongekommen war. Und wieso, fragte er sich, war eigentlich Tante Dottie der Meinung, sein Vater sei ein Schwächling gewesen? Hat sie jemals einen Beweis dafür geliefert, hat sie ihn liefern können? Nein.
    Da lag er in seinem Liegestuhl, moralisch gestärkt durch die luxuriöse Umgebung, körperlich gestärkt durch die Fülle des guten Essens, und versuchte, einen objektiven Blick auf sein bisheriges Leben zu werfen. Die letzten vier Jahre waren größtenteils nur Zeitverschwendung gewesen, das ließ sich nicht leugnen. Eine Reihe von Gelegenheitsarbeiten, lange, gefährliche Pausen ohne jede Beschäftigung und logischerweise mit steigender Demoralisierung, weil er kein Geld hatte, und dann ließ er sich mit stumpfsinnigen, albernen Leuten ein, um nicht so einsam zu sein oder weil sie ihm eine Zeitlang irgend etwas bieten konnten, Marc Priminger zum Beispiel. Es war eine Bilanz, auf die man nicht unbedingt stolz sein konnte, wenn man bedachte, mit welch hohen Erwartungen er nach New York gekommen war. Er wollte damals Schauspieler werden, allerdings hatte er mit zwanzig Jahren noch nicht die leiseste Ahnung von den Schwierigkeiten, der notwendigen Ausbildung und nicht einmal von dem Talent, das man brauchte. Er hatte geglaubt, er besäße das nötige Talent und brauchte nichts weiter zu tun, als zu einem Produzenten zu gehen und ihm ein paar seiner Original-Einmannsketches vorzuführen - Mrs. Roosevelt, die ihr Tagebuch schreibt, nachdem

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