Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
einem Monat nicht einmal eine Postkarte geschickt. Sie schrieb:
»Habe mich hinsichtlich der Riviera anders entschlossen. Kann sein, dies feuchte Wetter hat mir den Unternehmungsgeist genommen, oder auch mein Buch. Jedenfalls - ich fahre mit einem früheren Schiff von Neapel aus - mit der ›Constitution‹ am 28. Februar. Stell Dir vor - ich werde in Amerika sein, sobald ich den Fuß aufs Schiff setze. Amerikanisches Essen, Amerikaner, Dollars für Drinks und Pferderennen - Liebling, es tut mir leid, daß ich Dich nicht mehr treffen werde, wie ich aus Deinem Schweigen schließe, wünschst Du mich noch immer nicht zu sehen, also denke nicht weiter dran. Fühl Dich in keiner Weise mehr an mich gebunden.
Natürlich habe ich die Hoffnung, daß wir uns wiedersehen, in den Staaten oder sonstwo. Sollte es Dich vielleicht doch drängen, noch vor dem achtundzwanzigsten einen Abstecher nach Mongi zu machen, so weißt Du verdammt genau, daß Du willkommen bist.
Wie immer Marge
P. S. Ich weiß nicht einmal, ob Du noch in Rom bist.«
Tom sah sie diese Zeilen schreiben, in Tränen aufgelöst. Sein erster Impuls war, ihr einen sehr rücksichtsvollen Brief zu schreiben, daß er gerade eben aus Griechenland zurückgekehrt wäre, und ob sie seine beiden Postkarten bekommen hätte? Nein, es war doch sicherer, sie abreisen zu lassen, ohne daß sie genau wußte, wo er sich befand, dachte Tom. Er schrieb ihr gar nichts.
Das einzige, was ihm Unbehagen bereitete, kein allzu großes Unbehagen, das war die Möglichkeit, daß Marge ihn in Rom aufsuchen könnte, bevor er sich eine Wohnung eingerichtet hatte. Wenn sie die Hotels durchkämmte, konnte sie ihn finden, in einer Wohnung aber würde sie ihn nie aufspüren können. Gutsituierte Amerikaner brauchten sich nicht auf der Questura zu melden, wenn man auch nach den Vorschriften der Permesso di Soggiorno gehalten war, jeden Wohnungswechsel polizeilich eintragen zu lassen. Tom hatte mit einem amerikanischen Bürger Roms gesprochen, der eine Wohnung hatte, und der sagte, er hätte sich nie um die Questura gekümmen und die Questura sich nie um ihn. Für den Fall, daß Marge plötzlich in Rom auftauchte, hatte Tom im Schrank seine eigenen Kleider griffbereit. Das einzige, was er physisch an sich verändert hatte, war sein Haar, aber das war jederzeit als Wirkung der Sonne zu erklären. Er war gar nicht richtig besorgt. Zuerst hatte Tom sich noch mit einem Augenbrauenstift vergnügt - Dickies Augenbrauen waren länger und schwangen sich am äußeren Ende ein bißchen nach oben - und mit einer Spur Kitt an seiner Nasenspitze, um sie länger und spitzer zu machen, aber das hatte er aufgegeben, es war zu auffällig. Das wichtigste beim Darstellen, dachte Tom, war es, sich Stimmung und Temperament der Person, die man darstellte, zu bewahren und das Mienenspiel, das dazugehörte, zu treffen. Das übrige ergab sich ganz von allein.
Am zehnten Januar schrieb Tom an Marge, daß er jetzt aus Paris zurück sei, wo er drei Wochen allein verlebt habe, daß Tom vor einem Monat aus Rom abgereist wäre, um nach Paris und von dort aus nach Amerika zu fahren, daß er ihn aber in Paris nicht getroffen habe und daß er bis jetzt noch keine Wohnung in Rom habe finden können, daß er aber danach suche und ihr die Adresse mitteilen würde, sobald er etwas gefunden habe. Er bedankte sich überschwenglich für das Weihnachtspäckchen: sie hatte den weißen Pullover mit den roten V-Streifen geschickt, an dem sie seit Oktober gestrickt hatte und den sie Dickie immer wieder anprobieren ließ, außerdem einen Kunstband mit Quattrocento-Malerei und ein ledernes Rasiernecessaire mit seinen Initialen, H. R. G. Das Päckchen war erst am sechsten Januar angekommen, und hauptsächlich deswegen schrieb Tom den Brief: er wollte verhindern, daß Marge annahm, er hätte das Päckchen nicht abgeholt, daß sie auf die Idee kam, er könnte sich in Luft aufgelöst haben, und daß sie ihn dann suchen ließ. Er fragte, ob sie sein Päckchen bekommen hätte? Er habe es von Paris aus abgeschickt und fürchte, daß es zu spät ankäme. Er entschuldigte sich dafür. Er schrieb:
»Ich male wieder mit di Massimo und ich bin recht zufrieden. Auch ich vermisse Dich, aber wenn Du mein Experiment noch für ein Weilchen ertragen kannst, wäre es mir lieber, wenn wir uns noch ein paar Wochen lang nicht träfen (es sei denn, Du fährst wirklich im Februar plötzlich heim, was ich aber noch bezweifle!). Inzwischen legst Du vielleicht auch gar
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