Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Dickies Stil. Er wußte, daß Dickie nie mehr als zehn Minuten auf einen Brief verschwendete. Wenn dieser hier anders war, dachte Tom, dann konnte er nur insofern anders sein, als er etwas persönlicher und herzlicher gehalten war als gewöhnlich. Er war sehr zufrieden mit dem Brief, als er ihn zum zweitenmal durchlas. Onkel Edward war ein Bruder von Mrs. Greenleaf, er lag in Illinois in einem Krankenhaus mit so was wie Krebs, wie Tom dem letzten Brief Dickies von seiner Mutter entnommen hatte.
Ein paar Tage später saß er im Flugzeug nach Paris. Vor seiner Abreise hatte er noch im »Inghilterra« angerufen: keine Briefe, keine Telephonanrufe für Richard Greenleaf. Um fünf Uhr nachmittags landete er in Orly. Nach einem kurzen Blick auf Tom stempelte der Paßkontrolleur den Paß ab, aber Tom hatte ja sein Haar mit einer Superoxydwäsche leicht aufgehellt und es mit Hilfe von Pomade in ein paar Wellen gezwängt, außerdem setzte er dem Beamten zuliebe das ziemlich strenge, beinahe grimmige Gesicht auf, das Dickie auf dem Paßbild machte. Tom meldete sich im »Hotel du Quai-Voltaire« an, ein paar Amerikaner, mit denen er in einem römischen Café ins Gespräch gekommen war, hatten es ihm empfohlen als günstig gelegenes Quartier, das nicht von Amerikanern wimmelte. Dann lief er in den rauhen, nebligen Dezemberabend hinaus, mit hocherhobenem Kopf, ein Lächeln auf den Lippen. Was er an Paris so liebte, das war die Atmosphäre der Stadt, die Atmosphäre, von der er schon so viel gehört hatte, gewundene Gäßchen, graue Häuserfronten, Atelierfenster auf den Dächern, lärmende Autohupen und auf Schritt und Tritt öffentliche Pissoirs und grellbunte Säulen voller Theaterplakate. Langsam wollte er sich von dieser Atmosphäre durchdringen lassen, mehrere Tage lang vielleicht, erst dann wollte er in den Louvre gehen oder auf den Eiffelturm steigen oder so etwas. Er kaufte eine ›Figaro‹, setzte sich an einen Tisch im »Dome« und bestellte fine à l´eau, weil Dickie einmal gesagt hatte, er tränke in Frankreich immer fine à l´eau. Toms Französischkenntnisse waren begrenzt, aber Dickies auch, das wußte Tom. Ein paar interessante Leute starrten ihn durch die Glasveranda von draußen an, aber keiner kam herein und sprach ihn an. Tom war darauf gefaßt, daß jeden Augenblick jemand von einem Tische aufstehen, zu ihm herüberkommen und sagen würde: »Dickie Greenleaf! Sind Sie es wirklich?«
Er hatte nur sehr wenig getan, um sein Äußeres mit künstlichen Mitteln zu verändern, aber sein ganzes Mienenspiel, dachte Tom, hatte sich jetzt dem von Dickie angeglichen. Er trug ein Lächeln zur Schau, das einem Fremden gefährlich einladend vorkommen mochte, ein Lächeln, das mehr zur Begrüßung eines alten Freundes oder einer alten Liebe taugte. Es war Dickies schönstes Lächeln, sein typisches Lächeln in Stunden guter Laune. Tom war guter Laune. Das war Paris. Wunderbar, in einem berühmten Café zu sitzen und an morgen zu denken - an morgen und an übermorgen und an über-übermorgen als Dickie Greenleaf! Die Manschettenknöpfe, die weißseidenen Hemden, sogar die alten Klamotten - der schäbige braune Gürtel mit der Messingschnalle, die alten braunen Schuhe aus genarbtem Leder, die im ›Punch‹ so nett als unverwüstlich angepriesen wurden, der alte senffarbene Pulli mit den ausgebeulten Taschen, das alles gehörte ihm, und das alles liebte er. Und der schwarze Füllfederhalter mit den kleinen Goldinitialen. Und die Brieftasche, eine recht betagte krokodillederne Brieftasche aus dem »Gucci«. Ein Haufen Geld ging hinein in diese Brieftasche.
Am Nachmittag des folgenden Tages hatte er bereits eine Einladung zu einer Party in der Avenue Kleber bei irgendwelchen Leuten - einer Französin und einem jungen Amerikaner -, er hatte in einem großen Café-Restaurant auf dem Boulevard St. Germain ein Gespräch mit ihnen angeknüpft. Die Gesellschaft bestand aus dreißig bis vierzig Personen, die meisten mittleren Alters, fröstelnd standen sie in einer riesigen, kalten und ziemlich unpersönlichen Wohnung herum. In Europa schien es ein Gütezeichen der Vornehmheit zu sein, im Winter ungenügend zu heizen und im Sommer die Martinis ohne Eis zu trinken. Tom war in ein teureres Hotel in Paris umgezogen, weil er es gern wärmer gehabt hätte, aber er hatte feststellen müssen, daß in dem teuren Hotel noch weniger geheizt wurde. Das Haus seiner Gastgeber hatte eine düstere, altmodische Eleganz, fand Tom. Es gab einen
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