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Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Titel: Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Moment, im »Giorgio« saß oder daß sie sich in der Bar des »Miramare« einen langen, langsamen Tom Collins leistete und daß sie sich dabei hin und her überlegte, ob sie ihn noch einmal anrufen sollte. Er sah es vor sich, wie sie dasaß und darüber brütete, was wohl in Rom vor sich gehen mochte. Sie saß allein am Tisch, sprach mit niemandem! Er sah ihre unruhigen Augenbrauen, ihr verwuscheltes Haar. Er sah sie aufstehen und nach Hause gehen, einen Koffer nehmen und morgen den Mittagsbus besteigen. Dort stand er auf der Straße, vor dem Postamt, und er schrie ihr nach, sie solle nicht fahren, versuchte, den Bus aufzuhalten, aber der Bus brauste davon . . .
    Das Bild löste sich in wirbelndes Gelbgrau auf, die Farbe des Sandes am Strand von Mongibello. Tom sah, daß Dickie ihn anlachte, Dickie hatte den Cordanzug an, den er in San Remo getragen hatte. Der Anzug war triefend naß, ein tropfender Strick die Krawatte. Dickie beugte sich über ihn, rüttelte ihn. »Ich bin geschwommen!« sagte er. »Tom, wach auf! Ich bin gesund! Ich bin geschwommen! Ich lebe!« Tom wand sich unter dem Griff. Er hörte Dickies Lachen. Dickies glückliches, volles Lachen. »Tom!« Das Timbre der Stimme war tiefer, reicher, besser, als Tom es jemals in seinen Imitationen zuwege gebracht hatte. Tom fuhr in die Höhe. Sein ganzer Körper war bleiern und lahm, so, als versuchte er, aus tiefem Wasser emporzutauchen.
    »Ich bin geschwommen!« schrie Dickies Stimme, hallte tausendfach wider in Toms Ohren, als hörte er sie durch einen langen Tunnel hindurch.
    Toms Blick irrte im Zimmer umher, er suchte Dickie in dem gelben Lichtkreis der Lampe, in dem dunklen Winkel neben dem großen Kleiderschrank. Tom spürte, daß seine Augen in wilder Angst weit aufgerissen waren, und obwohl er wußte, die Angst war unsinnig, suchte er doch überall nach Dickie, unter den halb heruntergelassenen Rollos an den Fenstern, auf dem Fußboden an der anderen Seite des Bettes. Mühsam richtete er sich auf, erhob sich vom Bett, wankte quer durchs Zimmer und öffnete ein Fenster. Dann auch das andere Fenster. Er war wie betäubt. Irgend jemand hat mir was in den Wein getan, schoß es ihm durch den Kopf. Er kniete am Fenster nieder, atmete die kalte Luft ein, er kämpfte gegen die Betäubung, er kämpfte, als würde es ihn überwältigen, wenn er sich nicht bis zum äußersten anstrengte. Schließlich ging er ins Badezimmer und goß sich am Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht. Die Betäubung ließ nach. Er wußte, niemand hatte ihm etwas in den Wein getan. Seine Phantasie war mit ihm durchgegangen. Er hatte die Kontrolle über sich verloren.
    Er riß sich zusammen und löste ruhig seine Krawatte. Er bewegte sich, wie Dickie sich bewegt hätte, zog sich aus, badete, zog den Schlafanzug an und legte sich ins Bett. Er versuchte, was zu denken, was Dickie jetzt gedacht hätte. Seine Mutter. Ihrem letzten Brief hatten ein paar Schnappschüsse von ihr und Mr. Greenleaf beigelegen, beide saßen im Wohnzimmer und tranken Kaffee, ein Bild, das Tom von jenem Abend her kannte, an dem er nach dem Essen mit ihnen Kaffee getrunken hatte. Mrs. Greenleaf hatte geschrieben, daß Herbert die Photos selber gemacht hätte, mit Selbstauslöser. Tom begann, seinen nächsten Brief nach Hause zu entwerfen. Sie freuten sich, daß er jetzt öfter schrieb. Er mußte sie beruhigen wegen der Affäre Freddie, denn sie wußten von Freddie. Mrs. Greenleaf hatte in einem ihrer Briefe nach Freddie Miles gefragt. Aber während er den Brief entwarf, horchte Tom zum Telephon hinüber, er konnte sich nicht so recht konzentrieren.

18
    Das erste, was ihm einfiel, als er morgens aufwachte, war Marge. Er griff nach dem Telephon und fragte, ob sie während der Nacht angerufen hätte. Sie hatte nicht angerufen. Er ahnte Schreckliches, nämlich daß sie nach Rom unterwegs war. Das jagte ihn aus dem Bett. Und dann, als er sich wie immer rasierte und badete, schlug seine Stimmung um. Warum sollte er sich wegen Marge so aufregen? Bis jetzt war er noch immer mit ihr fertig geworden. Vor fünf oder sechs Uhr konnte sie sowieso nicht hier sein, denn der erste Bus fuhr mittags von Mongibello ab, und ganz sicher würde sie kein Taxi nehmen bis Neapel.
    Vielleicht gelang es ihm, heute vormittag noch aus Rom wegzukommen. Um zehn wollte er die Polizei anrufen und das feststellen.
    Er bestellte caffè latte und Brötchen aufs Zimmer, außerdem die Morgenblätter. Seltsam - in keiner Zeitung auch nur ein Wort über

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