Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
den Fall Miles oder über das Boot von San Remo. Ihm war ganz sonderbar zumute, er hatte Angst, die gleiche Angst, die er gestern abend empfunden hatte, als er Dickie im Zimmer glaubte. Er schleuderte die Zeitungen von sich, sie flatterten auf einen Stuhl.
Das Telephon läutete, und eilfertig stürzte Tom hinzu. Es war entweder Marge oder die Polizei. »Pronto?«
»Pronto. Hier unten sind zwei Herren von der Polizei, die zu Ihnen wollen, Signor.«
»Sehr schön. Bitten Sie sie herauf.«
Eine Minute später hörte er ihre Schritte auf dem teppichbelegten Gang. Es war wieder der ältere Offizier von gestern, er hatte einen anderen jungen Polizisten bei sich.
»Buon´ giorno«, sagte der Offizier höflich mit seiner kleinen Verbeugung.
»Buon´ giorno«, sagte Tom. »Haben Sie etwas Neues?«
»Nein«, sagte der Offizier mit etwas seltsamem Unterton. Er nahm den Stuhl, den Tom ihm anbot, und schlug seinen Block aus braunem Leder auf. »Etwas anderes hat sich ergeben. Sie sind auch befreundet mit einem Amerikaner Thomas Ripley?«
»Ja«, sagte Tom.
»Wissen Sie, wo er sich aufhält?«
»Ich glaube, er ist nach Amerika zurückgefahren, vor einem Monat ungefähr.« Der Offizier zog seine Unterlagen zu Rate. »Aha. Das wird von den Einreisebehörden der Vereinigten Staaten zu bestätigen sein. Sie sehen, wir versuchen Thomas Ripley zu finden. Wir halten es für möglich, daß er tot ist.«
»Tot? Wieso?«
Die Lippen des Offiziers unter dem buschigen eisengrauen Schnurrbart preßten sich nach jedem Satz leicht zusammen, so daß sie zu lächeln schienen. Dieses Lächeln hatte Tom auch gestern ein bißchen irritiert. »Sie waren im November mit ihm in San Remo, nicht wahr?«
Sie hatten in den Hotels nachgeforscht. »Ja.«
»Wo haben Sie ihn zum letzten Male gesehen? In San Remo?«
»Nein. Wir haben uns in Rom noch einmal getroffen.«
Tom fiel ein, Marge wußte ja, daß er von Mongibello aus nach Rom zurückgefahren war, denn er hatte ihr gesagt, er wolle Dickie helfen, sich in Rom einzurichten.
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen ganz genau sagen kann. Es ist zwei Monate oder so her, denke ich. Ich glaube, ich habe von ihm eine Postkarte bekommen aus . . . aus Genua, darauf schrieb er, daß er nach Amerika heimkehren wollte.«
»Sie glauben?«
»Ich weiß, daß ich sie bekommen habe«, sagte Tom. »Warum meinen Sie denn, daß er tot ist?«
Unschlüssig blickte der Offizier auf seine Papiere. Tom sah den jüngeren Polizisten an, der mit verschränkten Armen am Schreibtisch lehnte und ihn ausdruckslos anstarrte.
»Haben Sie in San Remo mit Thomas Ripley eine Bootsfahrt gemacht?«
»Eine Bootsfahrt? Wo?«
»In einem kleinen Boot? Rund um den Hafen?« fragte der Offizier unbeirrt und sah Tom an.
»Ich glaube ja. Ja, ich erinnere mich. Warum?«
»Weil man ein kleines Boot versenkt aufgefunden hat, es weist Flecke auf, die von Blut stammen können. Es ist am fünfundzwanzigsten November verlorengegangen. Das heißt, es ist dem Bootsverleiher, bei dem es gemietet wurde, nicht zurückgebracht worden. Der fünfundzwanzigste November war der Tag, an dem Sie mit Signor Ripley in San Remo waren.« Bewegungslos hafteten die Augen des Offiziers auf Tom.
Gerade die Sanftheit des Blickes kränkte Tom. Es war ein heuchlerischer Blick, fand er. Aber er strengte sich mächtig an, um das richtige Verhalten an den Tag zu legen. Er beobachtete sich, als stünde er neben sich selber und wachte über die ganze Szene. Er korrigierte sogar seine Haltung, machte sie lockerer, indem er eine Hand auf den Bettpfosten stützte. »Aber es ist uns nichts passiert bei dieser Bootsfahrt. Wir hatten keinen Unfall.«
»Haben Sie das Boot wieder abgegeben?«
»Selbstverständlich.«
Der Offizier sah ihn unverwandt an. »Wir können Signor Ripley vom fünfundzwanzigsten November an in keiner Hotelliste mehr finden.«
»Nanu -? Wie lange haben Sie denn schon gesucht?«
»Noch nicht lange genug, um jedes kleine Dorf in Italien zu durchkämmen, aber wir haben in den Hotels der wichtigsten Städte nachgeforscht. Sie haben wir gefunden, Sie sind vom achtundzwanzigsten bis dreißigsten November im ›Hassler‹ eingetragen, und dann . . .«
»Tom war nicht mit mir zusammen in Rom - Signor Ripley. Er ist um diese Zeit herum nach Mongibello gefahren und ein paar Tage dort geblieben.«
»Wo hat er gewohnt, als er nach Rom kam?«
»In irgendeiner kleinen Pension, ich weiß nicht mehr, welche es war. Ich
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