Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
heraufzukommen und in der Wohnung auf Dickie zu warten. Glück muß man haben!
Im American Expreß war Post für ihn - drei Briefe, einer von Mr. Greenleaf. »Wie geht es Ihnen heute?« fragte die junge Italienerin, die ihm seine Post aushändigte.
Auch sie las Zeitung, dachte Tom. Er lächelte zurück in ihr naivneugieriges Gesicht. Sie hieß Maria. »Sehr gut, danke, und Ihnen?«
Während er sich abwandte, ging ihm durch den Kopf, daß er nie mehr den American Expreß in Rom als Adresse für Tom Ripley angeben durfte. Zwei oder drei der Angestellten kannten ihn. Er benutzte nur noch den American Expreß in Neapel als Tom Ripleys Adresse, allerdings hatte er seit langem nichts mehr dort abgeholt, er hatte ihnen auch nicht geschrieben, sie möchten es ihm schicken, denn er erwartete nichts von Bedeutung für Tom Ripley, nicht einmal einen neuen Anpfiff von Mr. Greenleaf. Wenn sich alles ein bißchen beruhigt hatte, würde er einfach eines Tages zum American Expreß in Neapel gehen und es mit Tom Ripleys Paß abholen, dachte er.
Den American Expreß in Rom konnte er als Tom Ripley nicht benutzen, aber er mußte Tom Ripley stets bei sich haben, seinen Paß und seine Kleider, für Notfälle wie Marges Anruf heute morgen. Marge war verdammt nahe daran gewesen, plötzlich in seinem Zimmer zu stehen. Solange die Schuldlosigkeit Dickie Greenleafs nach Auffassung der Polizei diskutabel war, kam der Gedanke, als Dickie das Land zu verlassen, dem Selbstmord gleich, denn wenn er sich ganz plötzlich wieder in Tom Ripley zurückverwandeln müßte, dann würde Ripleys Paß nichts darüber sagen, daß er aus Italien ausgereist war. Wenn er aus Italien herauswollte - um Dickie Greenleaf dem Zugriff der Polizei gänzlich zu entziehen -, dann würde er als Tom Ripley ausreisen müssen, könnte später als Tom Ripley wiederkommen und dann, wenn die polizeilichen Ermittlungen beendet waren, wieder Dickie werden. Das war eine Möglichkeit.
Es schien alles so einfach und sicher. Er brauchte nichts weiter zu tun, als die nächsten paar Tage zu überstehen.
19
Langsam und tastend suchte sich das Schiff seinen Weg in den Hafen von Palermo, behutsam pflügte sich sein weißer Bug durch schwimmende Apfelsinenschalen, Strohbündel und Bruchstücke von Obstkisten. So ungefähr war auch Tom zumute, als er Palermo heranrücken sah. Er hatte zwei Tage in Neapel verbracht, und in der Presse hatte nichts gestanden über den Fall Miles, nichts von Interesse, und überhaupt nichts über das Boot von San Remo, und die Polizei hatte nicht einmal den Versuch gemacht, Verbindung mit ihm aufzunehmen, nicht, daß er wüßte. Aber vielleicht hatten sie sich bloß nicht die Mühe gemacht, in Neapel nach ihm zu suchen, vielleicht warteten sie in Palermo im Hotel auf ihn.
Am Kai jedenfalls erwartete ihn kein Polizist. Tom konnte nirgends einen entdecken. Er kaufte ein paar Zeitungen, dann nahm er ein Taxi und fuhr mit seinem Gepäck zum Hotel »Palma«. Auch in der Halle keine Polizisten. Es war eine prächtige alte Halle mit dicken Marmorsäulen, große Kübel mit Palmen standen herum. Ein Angestellter sagte ihm, welches Zimmer für ihn reserviert sei, und händigte einem Pagen den Schlüssel aus. Tom empfand eine derartige Erleichterung, daß er hinüberging zum Briefschalter und sich kühn erkundigte, ob irgendwas für Signor Greenleaf da wäre.
Man sagte ihm, es sei nichts da.
Nun fing er an, freier zu atmen. Das bedeutete, daß nicht einmal von Marge etwas gekommen war. Marge war doch ganz ohne Zweifel inzwischen zur Polizei gegangen, um herauszufinden, wo Dickie wäre. Auf dem Schiff noch hatte Tom sich die schrecklichsten Sachen vorgestellt: Marge wäre per Flugzeug vor ihm in Palermo, Marge ließe ihm durch das Hotel »Palma« ausrichten, sie träfe mit dem nächsten Schiff ein. Er hatte sogar in Neapel, als er an Bord ging, auf dem Schiff nach Marge Ausschau gehalten.
Jetzt fing er schon beinahe an zu glauben, Marge hätte nach dieser Episode von Dickie abgelassen. Vielleicht kam sie zu der Überzeugung, Dickie liefe vor ihr davon und wollte mit Tom zusammensein, allein. Vielleicht war das endlich auch in ihren Schädel eingedrungen. Tom überlegte, ob er ihr nicht einen entsprechenden Brief schreiben sollte, als er an diesem Abend in seinem tiefen, warmen Badewasser saß und verschwenderisch Seifenschaum auf seinen Armen zerrieb. Tom Ripley sollte diesen Brief schreiben, dachte er. Der Zeitpunkt war wohl jetzt gekommen. Er würde schreiben,
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