Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
warmen Brötchen und dem Kaffee, der ein bißchen nach Zimt schmeckte, genoß er jede einzelne Zeile. Es war alles darin, was er je hätte hoffen können, und noch mehr.
». . . Wenn Du wirklich nicht gewußt hast, daß ich bei Dir im Hotel war, dann heißt das nichts anderes, als daß Tom es Dir nicht gesagt hat, was nur den gleichen Schluß zuläßt. Jetzt ist es ziemlich offenkundig, daß du ausrückst und mir nicht ins Gesicht schauen kannst. Warum gibst Du nicht zu, daß Du ohne Deinen kleinen Freund nicht leben kannst? Ich bedaure nur eins, alter Junge, daß Du nicht den Mumm hattest, mir das schon früher und offen zu sagen. Wofür hältst Du mich? Für eine kleinbürgerliche Hinterwäldlerin, die von solchen Sachen nichts weiß? Du bist derjenige, der sich kleinbürgerlich benimmt! Na, meine Strafpredigt dafür, daß Du nicht den Mut aufgebracht hast, mir alles zu sagen, wird hoffentlich Dein Gewissen ein kleines bißchen erleichtern und Dich den Kopf hochhalten lassen. Stolz kann man jedenfalls nicht gerade sein auf die Person, die Du liebst, nicht wahr? Haben wir nicht schon einmal darüber gesprochen?
Nutzeffekt Nummer zwei meines Romaufenthaltes ist: ich konnte die Polizei darüber aufklären, daß Tom Ripley sich in Deiner Begleitung befindet. Sie schienen wie verrückt nach ihm zu suchen. (Möchte wissen, warum? Was hat er jetzt angestellt?) Ich habe der Polizei ferner in meinem besten Italienisch mitgeteilt, daß Ihr beide unzertrennlich wäret und daß es mir völlig unerklärlich sei, wie sie Dich hätten finden können, ohne auch auf Tom zu stoßen.
Werde ein anderes Schiff nehmen und Ende März in die Staaten fahren, nach einem kurzen Besuch bei Käthe in München. Danach werden sich unsere Wege wohl nie wieder kreuzen. Ich bin Dir nicht böse, Dickielein. Bloß - ich hatte Dir doch eine ganze Menge mehr zugetraut.
Hab Dank für die wunderbaren Erinnerungen. Mir kommen sie schon vor wie ein Stück im Museum oder so was von Bernstein Umschlossenes, ein bißchen unwirklich, so wie Du mir gegenüber immer empfunden haben mußt.
Beste Wünsche für die Zukunft, Marge«
Uff! Der Apfel war ab! Ah, goldiges Mädchen! Tom faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Jackentasche. Er blickte auf die beiden Türen des Hotelrestaurants, automatisch hielt er nach Polizisten Ausschau. Wenn die Polizei dachte, Dickie Greenleaf und Tom Ripley reisten gemeinsam, dann müßten sie inzwischen bereits die Hotels von Palermo nach Tom Ripley abgesucht haben, überlegte er. Aber er hatte nichts dergleichen gemerkt, etwa daß die Polizei ihn beobachtet hätte oder ihm nachgestiegen wäre. Vielleicht waren sie auch schon von der ganzen Greuelgeschichte mit dem Boot abgekommen, nachdem sie keinen Zweifel mehr hatten, daß Tom Ripley lebte. Warum in aller Welt sollten sie das weiterverfolgen? Vielleicht war auch der Verdacht gegen Dickie in der Sache San Remo und im Mordfall Miles schon in alle Winde zerstoben. Vielleicht.
Er ging in sein Zimmer hinauf und fing auf Dickies Kofferschreibmaschine einen Brief an Mr. Greenleaf an. Er fing damit an, daß er sehr säuberlich und logisch die Miles-Affäre darlegte, denn Mr. Greenleaf dürfte inzwischen ganz hübsch aufgeregt sein. Er schrieb, er habe die polizeilichen Verhöre hinter sich, und nun könnte die Polizei nach menschlichem Ermessen nur noch eins von ihm wollen, nämlich daß er Verdächtige, die sie vielleicht aufgriffen, zu identifizieren versuchte, denn diese Verdächtigen konnten ja gemeinsame Bekannte von ihm und Freddie sein.
Während er schrieb, läutete das Telephon. Eine männliche Stimme stellte sich als Tenente Sowieso von der Kriminalpolizei Palermo vor.
»Wir suchen Thomas Phelps Ripley. Ist er bei Ihnen in Ihrem Hotel?« fragte er höflich.
»Nein, er ist nicht hier.«
»Wissen Sie, wo er sich aufhält?«
»Ich denke, er ist in Rom. Ich habe ihn vor drei oder vier Tagen in Rom gesehen.«
»In Rom ist er nicht gefunden worden. Sie wissen nicht, wohin er von Rom aus gegangen sein könnte?«
»Es tut mir leid, ich habe nicht die leiseste Ahnung«, sagte Tom.
»Peccato«, seufzte die Stimme enttäuscht. »Grazie tante, signor.«
»Di niente.« Tom hängte auf und wandte sich wieder seinem Brief zu.
Die schwerfällige Prosa Dickies floß ihm jetzt leichter aus der Maschine, als seine eigenen Briefe je geflossen waren. Mit dem größten Teil des Briefes wandte er sich an Dickies Mutter, er unterrichtete sie über den Zustand seiner
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