Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Tom wußte es nicht, aber er würde sie wegschicken, weit weg vom American Expreß, denn dort wollte er noch hingehen und seine Post holen, ehe er die Stadt verließ.
»Ich möchte nicht gehen«, sagte Marge. »Ich werde hinaufkommen und mit Ihnen auf Dickie warten, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Tja, es ist . . .»Er lachte, sein ganz persönliches, unverkennbares Lachen, das Marge gut bekannt war. »Die Sache ist die, ich erwarte jeden Augenblick Besuch. Es ist eine geschäftliche Unterredung. Über eine Stellung. Ob Sie es glauben oder nicht, immer noch die alten Ripleyschen Bemühungen, sich an eine nützliche Beschäftigung zu machen.«
»Ach«, sagte Marge ohne Spur von Interesse. »Und wie geht es Dickie? Warum muß er mit der Polizei reden?«
»Oh, nur weil er neulich mit Freddie ein bißchen getrunken hat. Sie haben ja wohl die Zeitungen gelesen, oder? Die Zeitungen machen zehnmal mehr daraus, als es in Wirklichkeit war, aus dem einfachen Grunde, daß die Deppen nicht die geringsten Anhaltspunkte für irgendwas gefunden haben.«
»Wie lange wohnt Dickie schon hier?«
»Hier? Oh, erst eine Nacht. Ich war oben im Norden. Als ich das mit Freddie erfuhr, bin ich gleich zu ihm nach Rom gefahren. Wenn die Polizei nicht gewesen wäre, hätte ich ihn nie gefunden!«
»Wem erzählen Sie das! Ich bin völlig verzweifelt zur Polizei gerannt! Ich habe mir solche Sorgen gemacht, Tom. Er hätte mich doch wenigstens einmal anrufen können - im ›Giorgio‹ oder sonstwo . . .«
»Ich bin sehr froh, daß Sie in der Stadt sind, Marge. Dickie wird an die Decke springen, wenn er Sie sieht. Er hat sich viel Gedanken darüber gemacht, was Sie wohl von all dem halten würden, was in den Zeitungen steht.«
»Ach, wirklich?« sagte Marge ungläubig, aber sie schien sich zu freuen.
»Warten Sie doch im ›Angelo‹ auf mich. Das ist eine Bar auf der Straße, die direkt gegenüber dem Hotel abzweigt und zu den Stufen der Piazza di Spagna führt. Ich sehe zu, daß ich hier entschlüpfen kann, in etwa fünf Minuten, wir trinken dann zusammen schnell einen Mix oder einen Kaffee, einverstanden?«
»Einverstanden. Aber hier im Hotel ist auch eine Bar.«
»Ich möchte nicht, daß mein künftiger Chef mich in einer Bar vorfindet!«
»Ach so, na gut. ›Angelo‹ sagten Sie?«
»Sie können es nicht verfehlen. Auf der Straße direkt gegenüber dem Hotel. Tschüs!«
Er drehte sich auf dem Absatz um und packte fertig. Eigentlich war er schon fertig, nur noch die Mäntel im Schrank. Er hob den Hörer ab und bat, man möge ihm die Rechnung fertigmachen und jemanden schicken, der sein Gepäck hinuntertrage. Dann stellte er das Gepäck für die Pagen zu einem ordentlichen Stapel zusammen und ging über die Treppe nach unten. Er wollte sich vergewissern, daß Marge nicht mehr in der Halle saß und auf ihn wartete oder vielleicht noch ein Telephongespräch führte. Als die Polizei hier war, konnte sie noch nicht dagesessen haben, dachte Tom. Es waren etwa fünf Minuten verstrichen zwischen dem Abgang der Polizei und dem Auftreten Marges. Tom hatte einen Hut aufgesetzt, um sein erblondetes Haar zu verhüllen, einen Regenmantel angezogen, der ganz neu war, und er trug Tom Ripleys scheuen, leicht verängstigten Gesichtsausdruck zur Schau.
Sie war nicht mehr in der Halle. Tom bezahlte seine Rechnung. Der Empfangschef übergab ihm noch einen Zettel: Van Houston war hiergewesen. Der Zettel trug seine Schriftzüge, er war vor zehn Minuten geschrieben worden, die Uhrzeit stand darauf.
»Habe eine halbe Stunde auf Dich gewartet. Gehst Du nie an die Luft? Sie wollen mich nicht hinauflassen. Ruf mich im ›Hassler‹ an.
Van«
Vielleicht waren sich Van und Marge hier begegnet, falls sie sich kannten, und saßen jetzt beide im »Angelo«.
»Wenn noch jemand nach mir fragen sollte, sagen Sie bitte, ich sei abgereist«, sagte Tom zum Empfangschef.
»Va bene, signor.«
Tom ging hinaus zu dem wartenden Taxi. »Würden Sie bitte am American Expreß kurz halten?« bat er den Fahrer.
Der Fahrer bog nicht in die Straße ein, auf der das »Angelo« lag. Tom atmete auf und gratulierte sich. Er gratulierte sich vor allen Dingen dazu, daß er gestern zu unruhig gewesen war, um in seiner Wohnung zu bleiben, daß er sich ein Hotelzimmer genommen hatte. In seiner Wohnung hätte er Marge keinesfalls entschlüpfen können. Sie hatte die Adresse aus den Zeitungen. Hätte er es bei ihr mit dem alten Trick versucht, dann hätte sie darauf bestanden,
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