Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
zeigte nicht mehr Anteilnahme, als wäre Tom ein Hund, der entlaufen und nun wiedergefunden war. »Darf ich Ihren Paß sehen?«
Tom reichte ihm den Paß. »Ich weiß nicht, was los ist, aber als ich in den Zeitungen gesehen habe, daß man mich für vermißt hält . . .« Es war alles langweilig, langweilig, genau wie er vorausgesehen hatte. Polizisten standen herum mit leeren Gesichtern und starrten ihn an. »Was soll jetzt geschehen?« fragte Tom den Offizier.
»Ich werde mit Rom sprechen«, antwortete der Offizier seelenruhig und griff nach dem Telephon auf seinem Schreibtisch.
Ein paar Minuten mußte er auf die Verbindung warten, und dann meldete der Offizier mit dienstlicher Stimme irgend jemandem in Rom, daß der Amerikaner Thomas Ripley in Venedig sei. Weitere belanglose Dialoge, dann sagte der Offizier zu Tom: »Man hätte Sie gerne in Rom gesprochen. Können Sie heute nach Rom fahren?«
Tom runzelte die Stirn. »Ich hatte nicht vor, nach Rom zu fahren.«
»Ich werde es ihnen sagen«, meinte der Offizier milde und sprach wieder in das Telephon.
Nun arrangierte er es, daß die Polizei Roms zu Tom kam. Einem amerikanischen Staatsbürger kamen doch gewisse Privilegien zu, vermutete Tom.
»In welchem Hotel wohnen Sie?« fragte der Offizier.
»Im ›Costanza‹.«
Der Offizier gab diese Auskunft an Rom weiter. Dann hing er auf und teilte Tom höflich mit, daß ein Vertreter der römischen Polizei heute abend nach acht in Venedig sein würde, um sich mit ihm zu unterhalten.
»Danke«, sagte Tom. Er wandte dem traurigen Anblick des Offiziers, der ein Formular ausfüllte, den Rücken. Es war eine sehr langweilige kleine Szene gewesen.
Den Rest des Tages verbrachte Tom in seinem Hotelzimmer, in aller Ruhe dachte er nach, las und nahm noch ein paar kleine Veränderungen an seiner Erscheinung vor. Er hielt es für durchaus möglich, daß sie den gleichen Mann herschicken würden, der in Rom mit ihm gesprochen hatte, Tenente Rovassini oder wie er hieß. Tom färbte seine Augenbrauen mit einem Bleistift eine Spur dunkler. Er fläzte sich den ganzen Nachmittag in seinem braunen Tweedanzug herum, und er riß sogar einen Knopf vom Jackett ab. Dickie war ein ziemlich ordentlicher Mensch gewesen, also würde Tom Ripley im Gegensatz dazu auffallend liederlich sein. Er aß nicht zu Mittag, er hätte sowieso nichts gemocht, aber er wollte auch jetzt noch versuchen, die paar Pfunde abzutrainieren, die er für die Rolle als Dickie Greenleaf angefuttert hatte. Er wollte sich noch dünner machen, als er je zuvor als Tom Ripley gewesen war. In seinem Paß war sein Gewicht mit hundertfünfundfünfzig angegeben. Dickie wog hundertachtundsechzig, aber sie hatten beide die gleiche Größe, einssechsundachtzig.
Abends um halb neun klingelte sein Telephon, und die Zentrale teilte ihm mit, daß Tenente Roverini unten sei.
»Würden Sie ihn bitte heraufschicken?« sagte Tom.
Tom ging zu dem Sessel, in dem er zu sitzen beabsichtigte, und zog ihn noch ein Stückchen weiter aus dem Lichtkreis, den die Stehlampe warf. Das Zimmer war so hergerichtet, daß es aussah, als hätte er die letzten Stunden hindurch gelesen und die Zeit totgeschlagen - die Stehlampe und eine winzige Leselampe brannten, die Steppdecke war nicht ganz glatt, ein paar Bücher lagen aufgeschlagen herum, und er hatte sogar einen angefangenen Brief auf dem Schreibtisch liegen, einen Brief an Tante Dottie.
Der Tenente klopfte.
Mit schleppenden Bewegungen öffnete Tom die Tür. »Buona sera!«
»Buona sera. Tenente Roverini della Polizia Romana.«
Das einfache, lächelnde Gesicht des Tenente sah nicht im geringsten überrascht oder mißtrauisch aus. Hinter ihm trat ein anderer großer, schweigsamer junger Polizeioffizier ins Zimmer . . . nein, kein anderer, erkannte Tom plötzlich, sondern derselbe, der den Tenente begleitet hatte, als Tom Roverini zum erstenmal in der Wohnung in Rom getroffen hatte. Der Offizier setzte sich in den Sessel, den Tom ihm anbot, unter der Lampe. »Sie sind mit Signor Richard Greenleaf befreundet?« fragte er.
»Ja.« Tom setzte sich in den anderen Sessel, einen Lehnsessel, in den er sich ganz hineinkauern konnte.
»Wann und wo haben Sie ihn zum letztenmal gesehen?«
»Ich traf ihn kurz in Rom, gerade bevor er nach Sizilien ging.«
»Und haben Sie etwas von ihm gehört, als er in Sizilien war?«
Der Tenente schrieb alles in das Notizbuch, das er aus seiner braunen Aktentasche geholt hatte.
»Nein, ich habe nichts von ihm
Weitere Kostenlose Bücher