Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
haben dort die Flitterwochen verlebt.«
»Ein sehr schöner Ort«, sagte Tom. »Grazie.« Er nahm die Nazionale, die der Tenente ihm anbot. Tom dachte, dies wäre vielleicht ein höflich-italienisches Zwischenspiel, eine Pause zwischen zwei Runden. Gewiß würden sie noch zu Dickies Privatleben kommen, zu den gefälschten Schecks und alldem. Ernsthaft fragte Tom in seinem mühseligen Italienisch: »Ich habe in einer Zeitung gelesen, daß die Polizei meint, Signor Greenleaf könnte des Mordes an Frederick Miles schuldig sein, wenn er sich nicht meldete. Stimmt das, glauben Sie, daß er schuldig ist?«
»Oh-no, no, no!« Der Tenente protestierte. »Aber es ist unerläßlich, daß er sich meldet! Warum versteckt er sich vor uns?«
»Ich weiß es nicht. Wie Sie schon sagten - er ist nicht sehr hilfsbereit«, erläuterte Tom gemessen. »Er war nicht hilfsbereit genug, mir in Rom zu sagen, daß die Polizei mich zu sprechen wünschte. Aber trotzdem . . . ich kann nicht glauben, daß er Freddie Miles umgebracht hat, daß das möglich wäre.«
»Aber - sehen Sie, ein Mann hat in Rom ausgesagt, daß er zwei Männer neben dem Wagen von Signor Mie-lais gegenüber dem Haus von Signor Greenleaf hat stehen sehen, und daß beide betrunken waren oder . . .«, er machte eine Kunstpause und sah Tom an - »daß der eine Mann vielleicht tot war, denn der andere hielt ihn neben dem Wagen aufrecht! Natürlich, wir können nicht behaupten, daß der Mann, der gestützt wurde, Signor Mie-lais oder auch Signor Greenleaf war«, fügte er hinzu, »aber wenn wir Signor Greenleaf finden könnten, dann könnten wir ihn wenigstens fragen, ob er so betrunken gewesen ist, daß Signor Mie-lais ihn stützen mußte!« Er lachte. »Ja, es ist eine sehr ernste Angelegenheit.«
»Ja, das sehe ich ein.«
»Sie haben absolut keine Vorstellung, wo Signor Greenleaf sich im Augenblick aufhalten könnte?«
»Nein, absolut keine.«
Der Tenente dachte nach. »Signor Greenleaf und Signor Mie-lais hatten nicht vielleicht einen Streit, von dem Sie wüßten?«
»Nein. Allerdings . . .«
»Allerdings?«
Tom fuhr ganz langsam fort, er machte es genau richtig. »Ich weiß, daß Dickie nicht zu der Skigesellschaft gefahren ist, zu der Freddie Miles ihn eingeladen hatte. Ich weiß noch, ich war sehr erstaunt, daß er nicht hingefahren ist. Er hat mir nicht gesagt, warum.«
»Ich weiß Bescheid über die Skigesellschaft. In Cortina d´Ampezzo. Sind Sie sicher, daß keine Frau im Spiel war?«
Toms Sinn für Humor regte sich, aber er gab vor, gründlich über diese Frage nachzudenken. »Ich glaube nicht.«
»Was ist mit diesem Mädchen, Marjorie Sherwood?«
»Möglich ist es schon«, sagte Tom, »aber ich glaube es nicht. Ich bin vielleicht nicht der richtige Mann für Auskünfte über Signor Greenleafs Privatleben.«
»Hat Signor Greenleaf nie mit Ihnen über seine Herzensangelegenheiten gesprochen?« fragte der Tenente mit dem Erstaunen des Romanen.
Er konnte sie auf dieser Spur ins Uferlose schicken, dachte Tom. Marge würde ihm Schützenhilfe leisten, allein durch ihre Gefühlsausbrüche, mit denen sie auf Fragen nach Dickie reagieren würde, und die italienische Polizei würde dem Liebesleben Signor Greenleafs niemals auf den Grund kommen. Nicht einmal ihm selber war das gelungen!
»Nein!« sagte Tom. »Ich kann nicht behaupten, daß Dickie jemals mit mir über sein intimes Privatleben gesprochen hätte. Ich weiß, daß er Marjorie sehr gern hat.« Und er fügte hinzu: »Sie kannte auch Freddie Miles.«
»Wie gut hat sie ihn gekannt?«
»Nun . . .«, Tom tat, als könnte er mehr sagen, wenn er wollte.
Der Tenente beugte sich vor. »Sie haben ja eine Zeitlang bei Signor Greenleaf gewohnt in Mongibello, vielleicht sind Sie in der Lage, uns etwas über Signor Greenleafs Privatleben ganz allgemein zu sagen. Für uns wäre das von großer Bedeutung.«
»Warum sprechen Sie nicht mit Signorina Sherwood?« schlug Tom vor.
»Wir haben in Rom mit ihr gesprochen - bevor Signor Greenleaf verschwand. Ich habe dafür gesorgt, daß wir uns noch einmal mit ihr unterhalten können, wenn sie nach Genua kommt, um das Schiff nach Amerika zu nehmen. Jetzt ist sie in München.«
Tom schwieg und wartete. Der Tenente wartete seinerseits, daß er noch etwas beisteuerte. Tom fühlte sich jetzt richtig gemütlich. Es verlief alles so, wie er es in Augenblicken des größten Optimismus erhofft hatte: Die Polizei hatte nicht das mindeste gegen ihn, sie hatte keinerlei Verdacht
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