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Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Titel: Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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den von Testosteron überschwemmten Jungen in einem müden, alten Mann zu wecken.
    Und jetzt sollte er sich mit dieser Sache beschäftigen …
    Die Sendung schaute er sich gewöhnlich nicht an. Er konnte nicht leugnen, dass sie oft auf nützliche Spuren lenkte und die Verhaftungsrate in die Höhe trieb. In der Arbeit nannten sie sie »Verpfeif deinen Nachbarn«, und es war wirklich erstaunlich, wie viele Menschen sich freuten, wenn sie genau das tun konnten. Es waren die Rekonstruktionen und das undeutliche Filmmaterial, die ihn störten. Thorne schaltete normalerweise in dem Moment ab, in dem die orange gekleidete Moderatorin anfing, über »alles, das Ihrem Gedächtnis nachhilft« zu reden. Die Stadt war scheinbar voller Menschen, die durchs Leben gingen und völlig vergessen hatten, dass sie zwei Wochen zuvor mitten in einen fiesen Raubüberfall geraten waren … Die Rekonstruktionen hoben sie sich stets für die schlimmsten Fälle auf. Thorne wusste, dass dies an dem geringen Budget sowohl bei der Polizei als auch beim Fernsehen lag, dennoch hatten die Sendungen etwas … Erschreckendes. Jedes »Schlafen Sie gut« oder »Haben Sie keine Albträume« wirkte irgendwie gezwungen. Zuerst zeigten sie einem die übel zugerichteten, vergewaltigten oder getöteten Nachbarn, und gleich darauf versicherten sie, dass solche Verbrechen »ziemlich selten« vorkamen.
    Schlafen Sie gut, wenn Sie Statistiker sind.
    Trotz der scheinbar seriösen Machart ging es im Grunde um Unterhaltung, und das ärgerte ihn.
    Er dachte an diese Polizeifotografen, die mit den Aufnahmen von Helen Doyle beschäftigt gewesen waren.
    »Auf geht’s …« Hendricks setzte sich aufrecht hin und griff nach der Fernbedienung. Der Moderator und die besonders medienfreundlichen Beamten gaben einen Überblick über das Gemetzel der nächsten vierzig Minuten. Backhand war als Erstes dran. Nachdem die fotogene Beamtin in die Kamera geschaut und ihm versichert hatte, dass Überfälle von Fremden sehr, sehr selten seien, wurde Thorne ins Marlborough Arms geführt.
    Er sah eine junge Schauspielerin, die lachend mit einer Gruppe von Mädchen zusammensaß. Sie ging zur Bar und bestellte Getränke, während die Off-Stimme erklärte, wer sie war und was sie hier tat, und bereits finster darauf hinwies, was ihr bevorstand. Die junge Schauspielerin nahm ihren Mantel und ging mit den anderen Mädchen zur Tür.
    Und Thorne sah, wie Helen Doyle auf die Holloway Road trat, sich von ihren Freundinnen verabschiedete und fortging, um den Mann zu treffen, der sie umbringen würde. Vor sich sah Thorne das Mädchen, das wieder Farbe ins Gesicht bekam und aus dessen Haaren die Blätter fielen. Er wusste, dass die Narbe von Hendricks y-förmigem Einschnitt unter der Bluse verblasst und ihre junge Haut wieder makellos war und nach Talkum roch. Seine Kehle schnürte sich zu, als das Blut durch die blassen Beine gepumpt wurde, die Helen Doyle am Whittington Park entlang nach Hause trugen, wo ihre Eltern auf sie warteten.
    Jetzt lacht Helen und redet mit einem Mann, sie trinkt aus einer Flasche Champagner. Der Mann ist groß und hat angegrautes Haar. Er ist Mitte dreißig. Könnte er etwas älter sein? Jetzt fängt Helen leicht zu schwanken an. Sie fällt fast in den dunklen Wagen, der an einen unbekannten Ort fährt, wo der Fahrer leise und gekonnt Helen und all jene, die sie lieben, dessen beraubt, was sie ist.
    Und dann erschien Nick Tughan. Thorne konnte nicht leugnen, dass er ein nettes Bild abgab. Jackett und Krawatte waren dezent. Die melodische Stimme klang gut, keine Frage. Der Aufruf an potenzielle Zeugen: Nehmen Sie sich ein Herz und melden Sie sich. Für Helen. Für Helens Familie. Die Nummer der Einsatzleitung wurde angezeigt, und die Sendung ging weiter – mit einer Serie bewaffneter Raubüberfälle in den West Midlands. Thorne schloss die Augen.
    »Wie schätzt du die Sache ein, Tommy?«
    »Wir werden warten müssen, was die Anrufe bringen.«
    »Nein, ich meine, war ich hübsch! Sag’s mir. War es gut so, wie ich ausgesehen habe!«
    »Ja, meine Liebe. Du warst wunderbar.«
    »Tughan kommt mir eher wie ein genialer Komiker vor, wenn du mich fragst.«
    »Ich frage dich nicht. Und du bist besoffen. So sehr ich es auch hasse, meine teure skandinavische Schlafcouch mit Abschaum wie dir zu besudeln, du darfst trotzdem bleiben.«
    Hendricks war bereits dabei, sich mühsam auf die Beine zu stellen und nach seiner Lederjacke zu greifen. Eine halb volle Bierdose knallte auf

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