Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
Kreuzung, jeder Schlange vor einer Ampel, bildeten sich neue Sätze aus dem Wortkuddelmuddel. Sätze, mit denen er McEvoys Eltern gegenübertreten würde, falls er zu spät kam …
Warum hatte der Mörder sich McEvoy ausgewählt? Wie hatte er sie ausgewählt?
Thorne lehnte sich auf die Hupe, riss das Lenkrad herum, um an einem Transit-Van vorbeizukommen. Ihm war klar, die Antworten auf diese Fragen würden ihm verschlossen bleiben – noch. Bis er den Mistkerl vor sich hatte, auf dem Stuhl gegenüber im Vernehmungszimmer, in den frühen Morgenstunden, und dieser sich vor Angst in die Hose machte.
Doch es gab noch weitere Fragen. Fragen, die wehtaten, die sich in seinem Kopf festbissen wie ein Jingle, den man nicht mehr loswurde. Warum hatte er nichts bemerkt? Wie konnte jemand aus seinem Team in so etwas hineingeraten, ohne dass er es bemerkte? Die Drogen, die Lügen, das Abgleiten in etwas so Krankes und Tödliches …
Er fuhr nach Norden, über Fryent Country Park, die Schule war weniger als fünf Minuten entfernt. Der kleine Zeiger rutschte etwas weiter über die vertikale Linie hinaus. Die Rede war so gut wie fertig.
Detective Sergeant McEvoy war eine ausgezeichnete Polizistin, die ihr Leben in treuer Pflichterfüllung …
Thorne jagte den Mondeo um einen Kreisverkehr und bog nach links Richtung Harrow Zentrum ab. Er brüllte die Windschutzscheibe an, als das Auto, das Vorfahrt gehabt hätte und dessen Fahrer ihn wütend anblitzte, um ein Haar in ihn reingekracht wäre. Thorne erwiderte den Blick und trat auf die Bremse, sog die Luft zwischen zusammengepressten Zähnen ein, als er den stehenden Verkehr vor sich sah.
»Alle, gleich welchen Ranges, die Seite an Seite mit ihr arbeiteten, werden sie, ihre Einsatzfreude und ihre stets gute Laune …«
Die Schule war keine fünfhundert Meter mehr weg. Thornes Knöchel umklammerten das Lenkrad, weiß vor Anspannung, sein Fuß bearbeitete das Gaspedal, als er den Motor im Leerlauf aufheulen ließ. Das Kreischen des Motors war beinahe so laut wie der Schrei in seinem Kopf.
Nichts ging mehr. Keine Martinshörner waren zu sehen, kein Anzeichen für einen Unfall. Niemand kam irgendwohin.
Die ganze Scheißschule war auf den Beinen.
McEvoy erreichte das andere Ende des Schulhofs, machte kehrt und sah sich um. Dachte, komm schon, du Arsch, wo steckst du? Lief zurück zur Mitte, sprach laut, wie eine Verrückte im Bus. Ich bin hier, wo zum Teufel steckst du? Hier kommt eine große Überraschung auf dich zu, auf alle zu …
Dann ein paar Worte von der Stimme, und sie verstummte. Sie musste den Schulhof evakuieren lassen. Natürlich. Schließlich hatte sie keine Ahnung, was passieren würde. Da waren noch immer eine Menge Kinder unterwegs – die Langsameren, die Bummler, eine Gruppe, die noch einen Ball herumkickte. Mann, er hatte schon mal eine Pistole benutzt, oder? Sie dachte an Dunblane, an die Columbine High …
Wie kaputt bist du eigentlich? Der Schutz der Öffentlichkeit hätte dein erster Gedanke sein müssen, wäre es vor ein paar Monaten auch gewesen. Falls du damit hier zeigen willst, wie gut du bist, hast du dich bisher nicht mit Ruhm bekleckert …
Sie fasste in ihre Tasche, um ihren Polizeiausweis herauszuholen, öffnete den Mund, um loszubrüllen …
Was war, wenn sie in Panik ausbrachen? Wenn er in der Nähe war, provozierte ihn das womöglich. Nein, sie könnte ihn verschrecken. Sie musste das tun, was sie vereinbart hatten. Außerdem würde sie den Arsch, falls er in der Nähe war, erledigen, bevor er Schaden anrichten konnte.
Das war ihr letzter Gedanke, bevor sie das Messer im Rücken spürte und die Stimme an ihrem Ohr hörte.
»Sie sind doch allein, Sarah?«
»Ja.«
»Sie lügen nicht. Das ist gut. Kommen Sie mit mir, und seien Sie bitte vernünftig …«
Sie schnappte nach Luft, als die Messerspitze durch ihre Jacke und ihr Hemd in ihre Haut drang. Eine Hand legte sich unten auf ihren Rücken und lenkte sie in Richtung Ausgang.
Seine Stimme. Kannte sie sie? Ja, vielleicht, sie konnte sich nicht erinnern. Scheiße …
McEvoy lachte beinahe. Sie war dabei, den Arsch hochzunehmen . Sie wusste genau, was sie tun wollte, tun musste, aber bei ihrem Leben, sie hatte keine Ahnung, wie. Plötzlich war sie todmüde, schlief beinahe im Gehen. Hätte sie sich nicht bereits so schwach wie ein Baby gefühlt, hätten ihr die Worte, die ihr nun ins Ohr geflüstert wurden, die letzte Kraft geraubt.
»Ein Schrei oder der Versuch wegzulaufen, und
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