Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
und er trat auf ihn ein. Vor Anstrengung lief ihm der Schweiß zwischen den nackten Schulterblättern hinunter. Er schloss die Augen, während er weiter zuschlug, und stellte sich vor, er sei neu entstanden, habe nichts mehr zu tun mit dem, wo er war und was er war. Es war wunderbar. Wovon er immer geträumt hatte. Er sah sich umgeben von Menschen, die ihn mochten und die ihm vertrauten. Er sah sich in einer verantwortungsvollen Rolle. Er sah sich, wie er Geld dafür erhielt, dass er das Leben anderer Menschen kontrollierte.
Der Alte hatte aufgehört zu schreien.
Er öffnete die Augen und blickte hinab auf das klägliche Häufchen zu seinen Füßen, das Blut und gelbe Zähne spuckte. Er versetzte ihm noch einen Tritt und fing an, seine Klamotten einzusammeln.
Natürlich lag noch ein langer Weg vor ihm, bevor seine Vision Wirklichkeit werden konnte. Der Papierkram war nicht schlecht, aber da war noch die Ausbildung. Man servierte es ihm sicher nicht auf einem Silbertablett, er musste es sich erarbeiten. Und er würde arbeiten, hart arbeiten, denn das war es, was er sich wünschte, mehr als alles andere.
Er streifte sich sein Hemd über und schlug die Tür der schmuddeligen Wohnung hinter sich zu. Er sprang die Treppen hinunter und trat grinsend hinaus in die Sonne. Tat die ersten Schritte in ein völlig neues Leben.
Zog man in Betracht, was alles geschehen war, schien es nicht ohne Ironie zu sein, dass es für ihn immer nur einen Job gegeben hatte.
Siebtes Kapitel
Thorne erwachte aus einem blutrünstigen Traum. Vor dem Tosen dieses sich aus Arterien ergießenden Schwalls roten Blutes gelang es ihm kaum, sich bemerkbar zu machen, als er auf den Mann mit dem Skalpell einschrie. Er versuchte, das Blut zu stoppen, das sich auf das Gesicht der jungen Frau in dem Krankenhausbett ergoss, aber sie lag nur da, unfähig, den Kopf abzuwenden. Und allmählich verdeckten die dunkelroten Flecken die Haut ihres Gesichts, Spritzern von einem Pinsel gleich.
Er setzte sich auf und wartete darauf, dass die Traumbilder verschwanden, was sie taten, schnell taten. Nur die Erinnerung blieb, und die war weitaus schlimmer.
Das Telefon läutete. Thorne blickte auf den Wecker, als er sich streckte, um nach dem Telefon zu greifen. Aus Freitagnacht war gerade Samstagmorgen geworden. Er hatte kaum eine Stunde geschlafen.
»Tom Thorne …«
»Ich bin’s, Russell. Sind Sie wach? Oder möchten Sie lieber erst eine Tasse Kaffee trinken und mich zurückrufen?«
Brigstockes Ton genügte – Thorne war augenblicklich hellwach. »Ist schon in Ordnung. Was gibt’s?«
»Unser Freund im Hotelgewerbe hat sich wieder gemeldet.«
Damit hatte Thorne gerechnet. Er vermutete, dass es Tote gab. Womit er richtig lag.
»Ein Ehepaar mittleren Alters im Olympia Grand. So wie’s aussieht, sind sie seit dem frühen Abend tot …« Brigstocke zögerte und räusperte sich. Thorne war immer erleichtert, wenn es Kollegen schwer fiel, über einen gewaltsamen Tod zu sprechen. Erleichtert und überrascht. »Er hat sie gefoltert, Tom. Wir fanden Spuren …«
»Wer übernimmt den Fall, Russell?«
Wieder ein Zögern, doch diesmal aus einem anderen Grund. »Ich hoffte, Sie würden sich drum kümmern.«
Thorne schwang die Beine über den Bettrand. »Ich fürchte, mir gefällt die Richtung nicht, die das nimmt, Sir.«
»Gehen Sie nicht gleich hoch, Tom. Hier geht es nicht um irgendwelche düsteren Machenschaften. Das war nun mal unser Fall, und ich will da niemand Fremden dabei haben. Team zwei ist bereits unten, aber ich möchte, dass Sie hinfahren und sich die Sache ansehen. Hendricks ist schon auf dem Weg. Los, helfen Sie ihnen.«
»Was ist mit dem Garner-Fall?« Nun war es heraus. Er hatte es ausgesprochen. Vier Frauen waren gestorben, doch für Thorne war es der Garner-Fall. All diese Morde gingen in dem einen Mord auf, mit dem einem Kind so viel mehr als die Mutter weggenommen worden war. Bei diesem Fall würde für ihn immer dieses Kind im Mittelpunkt stehen, so wie in dem Fall vor einem Jahr die Frau, die, zu jeder Bewegung unfähig, in einem Krankenhausbett lag.
Die Frau, von der er geträumt hatte.
»Es sind beinahe drei Wochen, Tom …«
»Siebzehn Tage.«
»Sehen Sie, ich habe Ihnen nichts in den Weg gelegt, als Sie Ihre Zeit mit der Suche nach Margie Knight verbrachten, als Sie mit der Veröffentlichung des elektronisch erstellten Fahndungsfotos warten wollten, aber wir kommen einfach nicht weiter.«
»Sir …«
»Bei jeder Ihrer
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