Tom Thorne 03 - Die Blumen des Todes
Schreibtisch. Selbst als er dabei war, die Handschuhe überzustreifen und ein Foto vorsichtig an der Ecke anzufassen, war er sich bewusst, dass er damit seine Zeit verschwendete. Natürlich musste er sich dennoch vorschriftsmäßig verhalten, aber die Handschuhe waren sicher unnötig. Obwohl sich Fingerabdrücke auf einer Fotooberfläche so gut wie auf allem anderen nachweisen ließen, war ihm klar, dass der Mann, der diese Fotos gemacht hatte, außerordentlich vorsichtig zu Werke ging. Abgesehen von den Fingerabdrücken von Post- und Gefängnisangestellten oder den Haaren und Hautschuppen der Opfer selbst hatten sie bislang keine Spuren gefunden. Weder auf den Fotos noch den Briefen. Schließlich hatten sie es hier mit einem Mörder zu tun, der sogar das Bettzeug vom Tatort entfernte.
Aber jeder machte mal einen Fehler …
Thorne sah die Fotos rasch durch. Die Nahaufnahmen des blutverschmierten Gesichts, die geschwollenen dünnen Lippen, die später aufgeplatzt waren. Die Bewegung in den Ganzkörperaufnahmen verschwommen. Fotos, die unfassbarerweise gemacht wurden, als das Opfer noch lebte. Um sich schlug …
Er schob die Innenaufnahmen beiseite und senkte den Kopf, überprüfte, ob der Mörder einen bestimmten Fehler begangen hatte. Er studierte die Aufnahme aufmerksam, die bewusst ganz oben auf den Stapel gelegt worden war. Das Foto, das er als erstes sehen sollte. Das Schaufenster des Ladens nebenan …
Ein kleiner Mörderwitz.
Thorne war sich vage bewusst, dass Holland und Kitson ihn vom Türrahmen aus dabei beobachteten, wie er die Fotos durchsah. Und hoffte, ein verzerrtes Bild zu sehen, das sich zwar wahrscheinlich als nutzlos erweisen, ihm aber zeigen würde, dass er es mit fehlbarem Fleisch und Blut zu tun hatte. Er suchte vergebens nach einer Reflexion des Fotografen in einem kleinen, schwarzen Spiegel.
Nach dem Gesicht des Mörders in dem Auge eines toten Fisches. Er war sich ziemlich sicher, eine gute Wahl getroffen zu haben.
Diese Liste musste er sich einprägen. Er konnte nicht einfach eine Kopie ausdrucken und eine Nadel hineinstecken. Und ihm war auch nicht allzu viel Zeit geblieben, als er Gelegenheit hatte, einen Blick darauf zu werfen. Aber er wurde besser dabei, sich schnell die in Frage kommenden Kandidaten herauszusuchen. Mit den vorherigen zwei hatte er sich welche herausgepickt, die einen ordentlichen Eindruck machten, und hatte die Details später überprüft, als er sich Zeit lassen konnte. Genauso war er hier vorgegangen, hatte aus pragmatischen Gründen – Wohnort, häusliche Verhältnisse und so weiter – einige Namen abgelehnt und hatte dabei ein Superlos gezogen.
Mann, dabei war die Auswahl riesig. Die schwer wiegenderen Fälle, für die er sich interessierte, blieben für immer im Register, und die, die irgendwann mal daraus gestrichen wurden, nach fünf, sieben oder zehn Jahren, wurden durch eine Hundertschaft ersetzt.
Eine Wachstumsindustrie …
Dieser hier passte herrlich, so wie’s aussah. Er lebte allein in einer netten, ruhigen Straße. Bislang waren Freunde eine zu vernachlässigende Größe, und es sah nicht so aus, als spielte die Familie eine große Rolle. Womöglich ließ es sich sogar vermeiden, auf ein Hotel zurückzugreifen …
In der Hinsicht war er gespalten. In einem Haus oder einer Wohnung wäre es natürlich einfacher, aber da blieb immer ein Unsicherheitsfaktor, bei dem ihm nicht ganz wohl war. Außerdem würde es sich als schwierig erweisen, sich die Räume im Voraus anzusehen. Er durfte nicht erwarten, dass in einer Wohnung oder einem Haus in forensischer Hinsicht so ideale Bedingungen herrschten wie in einem gewöhnlichen Hotelzimmer. Ein unerwarteter Besuch eines Nachbarn ließ sich nicht so einfach mit einem »Bitte nicht stören«-Schild an der Tür verhindern.
Bei Remfry und Welch war ihm keine andere Wahl geblieben. Doch bislang hatten sich Hotels für seinen Zweck als wahrer Glücksgriff erwiesen, so dass er nur ungern von dieser erfolgreichen Strategie abwich. Hotels bedeuteten natürlich auch eine Menge potenzieller Zeugen und ein Sicherheitssystem, das es zu umgehen galt, aber das hatte sich als nicht allzu großes Problem erwiesen. Er hatte herausgefunden, dass die Leute so gut wie nichts sahen, wenn sie nicht wirklich hinschauten. Und Kameras sahen noch weniger, wenn man wusste, wie man ihnen aus dem Weg ging.
Er hatte es seit langer Zeit vermieden, gesehen zu werden, wirklich gesehen zu werden.
Dreizehntes Kapitel
»Ich wollte
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