Tom Thorne 03 - Die Blumen des Todes
hatte sie das bereits tausendmal getan. Warum also den Griff ihrer Aktentasche umklammern, als hindere er sie daran, zu fallen …
»Sheila? Ich bin Carol Chamberlain von der AMRU. Wir haben miteinander telefoniert
Carol sah sofort, dass die Frau, die ihr die Tür öffnete, von ihrem Aussehen überrascht war, Tönung hin oder her. Für jedes Jahr, das sie nicht mehr arbeitete, hatte sie fünf Kilo zugelegt, und ihr war absolut klar, wie das bei ihren knapp ein Meter sechzig rüberkam. Ihre Frisur mochte noch so modisch und künstlich kastanienbraun sein, was den Rest anging, waren ihr die Hände gebunden. Da konnte Jack noch so nett lügen. So up to date sie sich auch fühlte – die dreißig Jahre in dem Job hatten ihre Spuren hinterlassen. Morgens musterte sie zuweilen ihr Gesicht im Spiegel. Blickte in diese dunklen, müden Augen. Rosinen, die im Kuchenteig versanken …
Die Frau öffnete die Haustür ein Stück weiter. Carol hoffte, dass, so verdutzt und enttäuscht sie auch sein mochte, ihre britische Zurückhaltung Sheila Franklin davon abhalten würde, darüber eine Bemerkung zu verlieren.
»Ich setze den Wasserkessel auf«, sagte sie schließlich.
In der Küche sprachen sie, während der Tee gemacht wurde, über das Wetter und den Verkehr. Sheila Franklin wischte unterdessen die Arbeitsplatte ab. Als sie ein paar Minuten später in dem kleinen, einfach eingerichteten Wohnzimmer Platz genommen hatten, machte sich auf ihrem Gesicht ein Ausdruck von Verwirrung breit.
»Es tut mir Leid, aber ich dachte, Sie hätten gesagt, der Fall würde neu aufgerollt …«
Carol hatte nichts Derartiges gesagt. »Es tut mir Leid, wenn Sie einen falschen Eindruck hatten. Ich untersuche den Fall, und wenn es aussichtsreich erscheint, wird er vielleicht neu aufgerollt.«
»Ich verstehe.«
»Wie lang waren Sie und Alan verheiratet?«
Alan Franklins Witwe war groß und dünn. Carol schätzte sie auf Mitte, Ende fünfzig. Nicht viel älter als sie selbst. Sie trug die Haare streng nach hinten gekämmt, so dass ihr Gesicht von den grünen Augen dominiert wurde, die niemals länger als ein paar Sekunden auf etwas zu ruhen schienen. Hinter dem Rand ihrer Teetasse schossen ihre Blicke wie die einer Meerkatze umher, als sie Carols Fragen beantwortete.
Sie hatte Franklin 1983 kennen gelernt. Damals war er Ende vierzig gewesen, zehn Jahre älter als sie. Ein paar Jahre zuvor hatte er seine erste Frau verlassen und war von Colchester nach Hastings gezogen, um neu anzufangen. Sie hatten sich in der Arbeit kennen gelernt und nur wenige Monate später geheiratet.
»Alan hielt sich ran«, erzählte sie lachend. »Der ließ nichts anbrennen. Na ja, ich hab’s ihm auch nicht gerade schwer gemacht.«
Carol hatte, wie immer, ihre Hausaufgaben erledigt. Die wenigen Details zum Hintergrund hatte sie sofort parat. »Wie reagierten Alans Kinder darauf? Wie alt waren sie da eigentlich? Sechzehn? Siebzehn …?«
Sheila lächelte, aber ihr Lächeln hatte etwas Gezwungenes. »So ungefähr. Ich bin mir nicht mal sicher, wie alt sie jetzt sind. In der ganzen Zeit, in der wir verheiratet waren, habe ich die Jungs, glaub ich, einmal gesehen. Nur einer von den beiden tauchte bei Alans Beerdigung auf Carol nickte, als wäre das absolut normal. »Und die erste Frau?«
»Celia hab ich nie kennen gelernt. Hab auch nie mit ihr am Telefon gesprochen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob Alan noch mal mit ihr telefonierte, nachdem sie sich getrennt hatten.«
»Ich verstehe …«
Sheila beugte sich vor und stellte ihre Tasse ab. »Ich weiß, es klingt wahrscheinlich merkwürdig, aber so war’s nun mal. Es war Alans Vergangenheit … «
Carol versuchte, mit keiner Miene zu verraten, was sie über diese Leute, über ihr Leben dachte. Was nicht einfach war. Sie und Jack hatten relativ spät geheiratet, und oft genug war die Beziehung zu seiner Exfrau spannungsgeladen gewesen, aber sie waren stets zivilisiert miteinander umgegangen. Sie respektierten einander. Und Jacks Tochter war immer ein Teil ihres Lebens gewesen.
»Mit den Kindern, das hab ich wirklich versucht«, sagte Sheila. »Eine Zeit lang setzte ich alles daran, Alan dazu zu überreden, sie zu sehen, Brücken zu bauen. Was das anging, war er immer ein bisschen komisch.«
»Vielleicht dachte er, seine Exfrau hätte sie gegen ihn aufgehetzt.«
»Davon hat er nie was gesagt. Außerdem waren die Jungs ohnehin schon so gut wie erwachsen. Und kurz versuchten wir, selbst welche zu kriegen.« Sie
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